Die Reise in die Dunkelheit
es unmöglich, über die Linie 1 in den Südwesten der Metro zu gelangen.
Meist verübten die Heiden Überfälle auf schwache Stationen in der Peripherie. Na und? Schließlich führten alle Krieg, egal ob Siedlungen, Allianzen oder Einzelstationen. Kein Mensch konnte da den Überblick behalten, welche von ihnen zu den Guten und welche zu den Bösen gehörten. Es wäre dumm gewesen, sich in fremde Fehden einzumischen, und geradezu fahrlässig, sich mit einer ganzen Bande anzulegen.
Der Greis dachte wohl ähnlich, denn er versuchte nicht, den Söldner aufzuhalten, als der sich mit einem Kopfnicken verabschiedete und ging.
»Friede sei mit deinem Haus, Stalker«, murmelte er stattdessen.
Taran hörte es, drehte sich aber nicht mehr um. Die vor ihm liegenden Aufgaben duldeten keinen Aufschub . A n den nächsten Stationen hielt er sich nicht länger auf. Er passierte die Moskowskije worota mit ihrem von Lagerfeuern geschwärzten Bahnsteig,die lärmende Elektra und die zugige Papa . Die Kämpfer an den Kontrollposten stellten keine überflüssigen Fragen und machten den Durchgang frei, sobald sie den namhaften Stalker erkannten.
Kurz vor der Moskowskaja bog Taran wie gewohnt in einen Seitentunnel ein. Nun trennten ihn nur noch ein paar enge Korridore mit rauen, grob herausgefrästen Wänden vom Bunker des Krankenhauses, den er mit Gleb bewohnte . A ls der Stalker die Sprossen im letzten, vertikalen Schacht hinaufkletterte, freute er sich bereits auf ein ausgiebiges Abendessen mit seinem Stiefsohn und entspannte Gespräche bis Mitternacht.
Der Lukendeckel quietschte. Taran kletterte hinauf und sah sich im Bunker um. Plötzlich beschlich ihn eine böse Vorahnung. Irgendwas stimmte hier nicht.
Geschirr, Klamotten, zertrümmerte Möbelstücke – alles lag auf dem Boden verstreut.
»Gleb?«
Der Stalker durchsuchte die Räume. Überall bot sich dasselbe Bild . A m Boden verstreuter Hausrat, aufgebrochene Kisten. Die Doppelstockpritschen – umgeworfen.
»Gleb!«
Keine Spur von dem Jungen. Noch klammerte sich Taran an die vage Hoffnung, dass das Ganze nur ein gut vorbereiteter Streich sei, doch die sperrangelweit offen stehende hermetische Tür überzeugte ihn vom Gegenteil. Der Bunker war geplündert worden und Gleb – an die schlimmste aller Möglichkeiten wollte der Stalker nicht einmal denken –, Gleb war verschwunden.
Tarans Kehle war schlagartig wie ausgedörrt, seine Stirn schweißnass. Die Sorge, dass Gleb etwas zustoßen könnte, hatte er schon lange mit sich herumgetragen, aber immer wieder erfolgreich verdrängt. Jetzt, da sich seine Befürchtungen bewahrheitet hatten, fiel es ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Seine Seele war aufgewühlt. Ein Gefühl, das er in den Jahren des Einsiedlerlebens längst vergessen hatte, kehrte nun zu ihm zurück und vernebelte ihm die Sinne. Taran geriet in Panik. Zum ersten Mal seit vielen Jahren.
Konsterniert trat er in den Vorraum hinaus. Die hermetische Tür wies keinerlei Einbruchspuren auf. So ein Stahlungetüm tritt man ja auch nicht mal eben aus dem Rahmen. Hatte sein Stiefsohn etwa selbst aufgemacht? Aber wozu? Der Blick des Stalkers fiel auf Blutflecken auf dem Betonboden. Glebs Blut? Sein Herz stockte . A ber viel war es nicht. Womöglich hatte er nur was auf die Nase bekommen?
Zurück im Bunker schloss Taran kurz die Augen und atmete tief durch. Dann streckte er den Hals und riss den Mund so weit wie möglich auf. Diese simple Übung half ihm, die Anspannung abzubauen und seine Gedanken zu ordnen.
Er sah sich noch einmal gründlich um und achtete dabei auf jedes Detail. Schon zeigten sich gewisse Gesetzmäßigkeiten im allgemeinen Chaos: Die rätselhaften Besucher waren offenbar recht wählerisch gewesen. Während der Koffer mit den gepflegten, säuberlich eingeölten Pistolen unversehrt an seinem Platz stand, hatten sie einen Haufen alter Flinten durchwühlt, die der Stalker als Ersatzteillager für seine Heimwerkerarbeiten ausschlachtete.
Den Waffenschrank hatten sie vollständig leergeräumt. Interessant … Die Flinten im Schrank waren im Unterschied zu den anderen geladen gewesen.
Das Schweinegeschnetzelte in der Pfanne hatten die Räuber verputzt. Die Kollektion von Gläsern mit eingemachten Früchten, auf die Taran so stolz war, stand dagegen unberührt im Regal. Merkwürdige Wahl.
Irgendetwas fehlte noch. Irgendein Detail, das dem rätselhaften Anblick Sinn verlieh und den Groschen zum Fallen brachte . A ls der Stalker nochmals die
Weitere Kostenlose Bücher