Die Reise in die Dunkelheit
Stelle inspizierte, wo er Gleb beim Abschied gesehen hatte, fielen ihm endlich die Schallplatten wieder ein. Sie waren nicht mehr da.
»Zur Hölle mit euch, ihr feigen Bastarde!«
Jetzt war die Sache klar und eins fügte sich zum anderen. Die Waffen, die nach dem Prinzip »schießt bzw. schießt nicht« ausgewählt worden waren. Die verschmähten Obstkonserven, deren exotischen Inhalt die Plünderer wohl noch nie gekostet hatten.
Der Stalker ging zur Wand und schlug mit der Faust dagegen. Hinter der durchgebrochenen Sperrholzplatte befand sich eine schmale Nische. Taran zog die AK-74 aus dem Versteck hervor und verstaute die Magazine in den Taschen seines Schutzanzugs. Schusssichere Weste, Gasmaske, Kampfmittelweste mit Granaten, Messer … Irgendwas vergessen? Der Stalker hüpfte einmal hoch. Nichts schepperte.
Er schloss die hermetische Tür und wollte gerade loslaufen, als im Schein der Lampe plötzlich etwas glänzte. Taran bückte sich und fand eine weitere Bestätigung für seine Vermutung: ein grob zurechtgefeiltes Stück Vinyl an einer abgerissenen, dünnen Schnur. Ein primitives Amulett der Stummel.
Aus irgendwelchen Gründen hatte es sich eingebürgert, dass alle wichtigen Treffen an der Elektra in der hiesigen Bar stattfanden. Das Etablissement hörte auf den etwas großspurigen Namen »Pentagon«, den Uneingeweihte verständlicherweise nicht ganz nachvollziehen konnten. Es befand sich an der geschlossenen Stirnseite der Station, erstreckte sich über zwei der Zugangsnischen zum Bahnsteig und war durch schlampig zusammengeschraubte Wellblechwände vom Rest der Station abgetrennt . A uf den ersten Blick also nichts Besonderes. Doch hinter dieser äußerlich ziemlich windigen Fassade ging es hoch her, und es wurden die erstaunlichsten Geschäfte gemacht. Zu jeder Tages- und Nachtzeit wimmelte es von Händlern und Spekulanten aus der ganzen Metro.
Ein Großteil der Bewohner der Station Elektrossila rekrutierte sich aus ehemaligen Arbeitern des namengebenden Elektromotorenwerks. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass die Bar unter dem inoffiziellen Namen des Verwaltungsgebäudes jenes Unternehmens firmierte.
Zwischen den kompakten Tischen, die sich im Laufe der Jahre mit dem charakteristischen Aroma von Braga vollgesogen hatten, balancierten akkurat gekleidete und auf tadellose Manieren gedrillte Kellner ihre Tabletts. Das »Pentagon« achtete auf seinen guten Ruf.
Der lange Tresen erstreckte sich an der massiven Stirnwand, in deren oberem Bereich noch Fragmente des ursprünglichen Dekors erhalten waren. Wenn man genau hinschaute, konnte man in den Resten des Mosaiks die Figur eines Arbeiters erkennen, der mit erhobenen Armen gleichsam das Deckengewölbe stützte, sowie einen Teil jener mysteriösenPhrase über die Elektrifizierung des ganzen Landes.
Der untere Teil der Wand war lückenlos mit Regalen bestückt, in denen alkoholische Getränke für jeden Geschmack zur Auswahl standen. Zwischen Pilzschnäpsen und billigen Süßweinen, die schon beim Hinschauen Kopfweh verursachten, fanden sich auch einige Flaschen Wodka aus der Vorkriegszeit, die inzwischen als Raritäten gehandelt wurden.
Das Prunkstück der Bar war ein Fünf-Sterne-»Ararat«, der in einer separat beleuchteten Vitrine stand. Das bernsteinfarbene Elixier war ein magischer Blickfang und rief bei den Gästen sentimentale Erinnerungen an längst vergangene Zeiten wach. Ein Gläschen des edlen armenischen Kognaks kostete mittlerweile ein Vermögen, und vermutlich aus diesem Grund war die Flasche jahrelang nicht angetastet worden. Sie diente dem »Pentagon« eher als Aushängeschild und als eine Art Symbol für sein gehobenes Renommee.
Eine weitere Attraktion der Bar war ein riesenhafter Mutant, der hier seit Kurzem als Rausschmeißer arbeitete. Vor seinem Auftauchen hatten Handgemenge und Prügeleien in schöner Regelmäßigkeit den Barfrieden gestört, was angesichts des illustren, zuweilen aggressiv gestimmten Publikums nicht verwunderlich war. Doch seit der grünhäutige Hüne mit dem furchterregenden Äußeren über das Benehmen der Gäste wachte, hatten die unerfreulichen Zwischenfälle wie von selbst aufgehört. Meist genügte schon ein böser Seitenblick des Mutanten, um aufkommende Zwistigkeiten im Keim zu ersticken. Selbst notorische Streithammel sahen sich genötigt, ihr Mütchen zu kühlen.
Für den Wirt des »Pentagons« war das Engagement des grünen Giganten wie ein Sechser im Lotto. Der neue Mitarbeiter verlangte keine
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