Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
Vom Netzwerk:
Weiß der Kuckuck, wo er die aufgetrieben hatte.
    »Auf dein Wohl, Gena.«
    Der Stalker sog das betörende Aroma ein und leerte sein Glas in einem Zug. Der Mutant ignorierte den Trinkspruch und starrte grimmig auf die in Reih und Glied stehenden Flaschen im Regal.
    Taran legte die Stirn in Falten. Seine Wangen pulsierten.
    »Ich brauche deine Hilfe . A llein schaffe ich es nicht.«
    »Hilfe?« Dym wandte sich zu seinem Gesprächspartner um. »Du wagst es, mich um Hilfe zu bitten? Nach allem, was passiert ist?!«
    Der Mutant wischte den Kognakschwenker vom Tresen. Das Klirren des berstenden Glases hallte durch die gesamte Bar . A lle Gäste glotzten. Die kostbare Flüssigkeit endete als hässlicher Fleck auf dem Boden. Im Licht der flackernden Lampen glitzerten Hunderte winzigster Glassplitter – die Scherben einer zu Bruch gegangenen Freundschaft.
    »Ja, Gena. Gerade nach allem, was passiert ist.«
    Der Mutant sprang von seinem Barhocker herab, baute sich vor dem Söldner auf und zeigte mit dem Finger auf ihn.
    »Dir habe ich es zu verdanken, dass ich jetzt in diesem elenden Loch dahinvegetiere. Wenn du nicht gewesen wärst …«
    »… würde dein Kopf jetzt auf einem Pfahl stecken, mitten am Bahnsteig des Gostiny dwor !«
    »Kapierst du denn nicht, dass es besser ist, seinen Kopf zu verlieren, als sich wie der letzte Dreck zu fühlen?! Mein Ruf ist völlig ruiniert. Und der Rückweg in die Allianz ist mir für immer verbaut! Wegen dir! Hörst du, Taran?! Wegen dir!«
    Die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Mensch und Mutant durchbohrten einander mit Blicken und verharrten reglos, als wären sie aus Stein. Der Barkeeper hatte sich irgendwo unter dem Tresen verkrochen. Die Gäste vergaßen ihre Getränke und gafften.
    Während Taran den wütenden Gennadi fixierte, fiel ihm auf, wie sehr jener seit ihrer letzten Begegnung abgebaut hatte. Sein Gesicht war aufgeschwemmt vom dauernden Suff, und seine Hände zitterten bedenklich. Natürlich war er immer noch dieselbe ehrliche Haut, die der Stalker kannte. Riesig und unfassbar stark in Körper und Geist. Doch gleichzeitig war er ihm auch fremd geworden. Vor allem sein Blick wirkte ungewohnt schwermütig, als würde ein tonnenschweres Schicksal auf ihm lasten. Dabei waren nur wenige Wochen vergangen seit jenem verhängnisvollen Tag.
    Noch einmal liefen die Ereignisse vor dem inneren Auge des Stalkers ab. Szene für Szene spie das Gedächtnis wieder aus …
    Das flackernde Licht des Lagerfeuers in der Nähe des Eingangs zur Station, das die Finsternis des Tunnels durchbricht. Und da der hektische Bote, der Taran am Kontrollposten erwartet. Er redet verworrenes Zeug, drängt zur Eile und schleift den Stalker buchstäblich durch das Gewühl am Newski . Jetzt durchqueren sie den Übergang zur Gostinka , der mit Wohnbaracken zugebaut ist, dann öffnet sich der Blick auf die Station. Die Luft ist stickig wegen der Menschenmassen.
    Der Bahnsteig ist viel heller beleuchtet als sonst . A n diesem Tag spart die Führung der Allianz nicht an der Beleuchtung. Der Grund für die Stromverschwendung ist keineswegs alltäglich: Es findet ein Schauprozess statt. In der Bahnsteigmitte steht das auf die Schnelle zusammengezimmerte Schafott.
    Nachdem er sich durch die Schaulustigen gekämpft hat, sieht Taran endlich Dym, der in schwere Ketten gelegt ist. Die bewaffneten Kämpfer, die ihn umringt haben, überragt der Mutant um mehrere Köpfe und wirft zornige Blicke auf einen grauhaarigen Mann, der ein abgetragenes Sakko mit Ellenbogenschonern trägt. Der Richter spricht mit einer unangenehm bellenden Stimme von einem improvisierten Rednerpult und blickt dabei von Zeit zu Zeit in ein dickes Manuskript. Der Stalker versteht nur die Hälfte der Litanei, da die Umstehenden bereits lautstark die Details der bevorstehenden Hinrichtung diskutieren.
    Niemand zweifelte damals daran, dass der Prozess mit einem Todesurteil zu Ende gehen würde, da übel gesinnte Menschen es verstanden hatten, die Angelegenheit weithin publik zu machen. Und ein Verfahren, in das ein Mutant involviert war, ließ sich unmöglich geräuschlos beilegen.
    Gendefekte kamen in der Bevölkerung der Metro immer wieder vor. Die hohe Strahlenbelastung in der Umwelt blieb nicht ohne Folgen. Doch leider gab es etliche Leute, die ein Problem damit hatten, in der Nachbarschaft solchermaßen »Behinderter« zu leben.
    Auch in Dyms Fall hatten sich bösartige Hetzer gefunden, die es darauf anlegten, einen Skandal vom Zaun zu brechen.

Weitere Kostenlose Bücher