Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
Vom Netzwerk:
Patronen für seine Arbeit, sondern begnügte sich mit unentgeltlichen Mahlzeiten und einer täglichen Ration Schnaps von der billigsten Sorte.
    Der Mutant hielt sich stets ganz am Rand des Tresens auf. Dort saß er auf einem hohen Barhocker, der aus dicken Stahlrohren zusammengeschweißt war. Ein anderes Sitzmöbel hätte den Koloss schlichtweg nicht ausgehalten. Er schüttete Flasche um Flasche in sich hinein, blieb aber stets nüchtern genug, um seinen Pflichten als Ordnungshüter nachkommen zu können. Ein stiller, besonnener Trinker, der potenziellen Ruhestörern allein schon durch seine Anwesenheit den Wind aus den Segeln nahm.
    Nicht nur fremde Händler hielten geflissentlich Abstand zu dem imposanten Aufpasser, sondern auch die Stammgäste des »Pentagon«. Selbst der Kellner, ein vielleicht fünfzehnjähriges Bürschchen, der gerade hinter seinen mächtigen Rücken trat, traute sich nicht, ihm auf die Schulter zu tippen, sondern hüstelte nur zaghaft, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Der Mutant saß auf seinem massiven Hocker, hatte die baumdicken Unterarme auf den Tresen gestützt und döste vor sich hin. Die halbherzigen Bemühungen des Kellners schien er überhaupt nicht zu bemerken. Der Junge wandte sich um, suchte Blickkontakt zu jemandem am Eingang und zuckte hilflos mit den Achseln. Gerade wollte er den Rausschmeißer ansprechen, da drehte dieser plötzlich den Kopf und schaute den Ärmsten aus trüben Augen an.
    »Da ist jemand für Sie …«, presste der schreckensbleiche Kellner hervor, wedelte mit der Hand in Richtung Eingang und zog sich eilends zurück.
    Der Gigant fokussierte den Blick auf einen Mann, der zwischen den Tischen hindurch auf den Tresen zusteuerte. Federnder Gang, hellwache Augen, rasierter Schädel. Sein mit allen Schikanen ausgestatteter Schutzanzug zog neidische Blicke anderer Stalker auf sich . A n den Füßen trug er die obligatorischen hohen Armeestiefel.
    Als der Mutant den Besucher erkannte, verzog er das Gesicht. Der Blechbecher in seiner Pranke knarzte erbärmlich und knickte ein, als wäre er aus Papier. Die trübe, nach Alkohol stinkende Flüssigkeit rann über die Finger des Riesen. Er wandte sich ab und warf das zerquetschte Trinkgefäß wütend in den Mülleimer.
    »Hallo, Dym.« Unbeeindruckt setzte sich Taran neben seinen Freund an den Tresen. Seinen Spitznamen – der nichts anderes als »Rauch« bedeutete – hatte dieser wegen seines Hangs zum Tabakkonsum erhalten. Eigentlich hieß er Gennadi, oder einfach Gena. »Ich muss mit dir reden.«
    »Zwischen uns gibt es nichts zu reden«, versetzte der Mutant, griff nach seiner Schnapsflasche und trank gierig.
    Der Stalker hatte offenbar keine andere Reaktion erwartet. Er nickte dem Barkeeper zu und zeigte auf die Vitrine.
    »Chef, schenk uns mal hundertfünfzig Gramm von dem Kognak ein.«
    Der Barkeeper war völlig perplex und schnitt ein Gesicht, als würde er seinen Ohren nicht trauen. Doch als eine Packung Penizillin über den Tresen rutschte, taute er sofort wieder auf und schenkte dem spendablen Gast ein breites Grinsen. Mit flinker Hand schob er die wertvollen Ampullen ein und stieg auf einen Hocker, um den »Ararat« aus der Vitrine zu holen.
    Das Publikum an den nächstgelegenen Tischen reckte neugierig die Köpfe. Da bahnte sich ja eine spannende Unterhaltung an. Die beiden Herrschaften am Tresen und die Geschichte mit der Kannibalensekte kannte hier praktisch jeder. Nachdem sie lebend von der mörderischen Expedition nach Kronstadt zurückgekehrt waren, hatten die beiden eine regelrechte Jagd auf die falschen Propheten von »Exodus« eröffnet und sie allesamt liquidiert. Den Letzten hatte übrigens ein zwölfjähriger Junge ausfindig gemacht, der Tarans Stiefsohn war. Doch heute war der Stalker – warum auch immer – allein gekommen.
    Nach jenen denkwürdigen Ereignissen war es zwischen dem berühmten Stalker und dem grünhäutigen Mutanten allerdings zum Bruch gekommen und ihre Wege hatten sich getrennt. Die Hintergründe ihres Zwists kannten die wenigsten. Man erzählte sich, dass in der Primorski-Allianz irgendwas zwischen ihnen vorgefallen sei. Doch die Bewohner der Allianz waren seriöse Leute und verstanden es, ihre Geheimnisse zu hüten. Sie hingen die Sache nicht an die große Glocke.
    Die Bestellung des Söldners stand inzwischen auf dem Tresen. Um den seltenen Anlass zu würdigen, hatte sich der Barkeeper besondere Mühe gegeben und die exquisite Spirituose in zwei Kognakschwenkern serviert.

Weitere Kostenlose Bücher