Die Reise ins Licht
weiter.
Nach zehn Minuten verlangsamten die Gefährten ihren Lauf. Die Fledermäuse hatten endlich von ihnen abgelassen und waren irgendwo weiter hinten zurückgeblieben. Eine Weile noch waren die durchdringenden Schreie der aufgeregten Bestien zu hören – dann verstummten auch sie. Mitgenommen und erregt setzten die Kämpfer ihren Weg fort.
Von nun an lehnte sich Kondor nicht mehr aus dem Fenster und folgte den Anweisungen des Wegführers. Nach einem Blick auf den Geigerzähler führte Taran die Gruppe immer weiter, vorbei am Dickicht des Poleschajew-Parks Ref. 18 , an den Ruinen der »Baltischen Perle« – dieses seinerzeit nicht fertiggestellten Petersburger Chinatowns – und an den ätzenden Ausdünstungen der Teiche der Sergijew-Vorstadt Ref. 19 . Die Bäume boten hier einen merkwürdigen Anblick. Eine furchtbare Kraft hatte die knotigen Stämme verkrüppelt und zusammengedreht. Kein einziges Blättchen gab es auf den abgestorbenen Zweigen, nicht ein bisschen Grün ringsherum. Ein dichter, graugelber Nebel, der tief über der vergifteten Erde hing, vervollständigte das Bild. Aus der Mitte dieser abstoßenden kahlen Fläche, einem in Dunkelheit gehüllten Teich, erklang auf einmal ein tiefes, dumpfes und vibrierendes Geheul.
Taran blickte sich alarmiert um.
Die Stalker machten einen großen Bogen um diesen seltsamen, aussätzigen Flecken. Sie betraten die Petersburger Chaussee genau gegenüber des großen Platzes, in dessen Mitte in stolzer Einsamkeit ein imposantes Gebäude stand.
Gleb zupfte neugierig an Tarans Ärmel.
»Die Makarowka Ref. 20 «, erklärte dieser. »Die Marine-Akademie. «
Das dumpfe Geheul wiederholte sich, Gleb lief es kalt über den Rücken, und auch die anderen Kämpfer schienen zu erschaudern.
»Gehen wir in Deckung«, entschied Taran, und deutete mit dem Kopf in Richtung Akademie. »Warten wir ab. Womöglich kommt es plötzlich herausgekrochen.«
»Dort bewegt sich was hinter den Fenstern.« Der Belgier beobachtete das Gebäude durch das Zielvisier seiner FN F2000. »Keine Ahnung, was das ist. Sieht fast so aus wie ein Mensch.«
»Vor Menschen habe ich keine Angst.«
Taran nahm die Kalaschnikow von der Schulter und näherte sich, immer wieder Deckung suchend, dem Gebäude. Die Stalker folgten ihm. Auf der Hälfte des Weges sprang der schweigsame Tadschike Farid plötzlich zur Seite.
»Schaitan! Ref. 21 Boss, komm mal her. Schau!«
Aus der Erde ragte ein Pfeil. Tatsächlich: ein echter Pfeil, lang und mit Federn am Ende.
»Indianer, oder was?« Ksiwa gab auf das Gebäude der Akademie eine Salve ab.
»Spar dir deine Patronen!«, wies Kondor den Kämpfer zurecht. »Vorwärts. Und haltet die Augen auf.«
Sich gegenseitig Deckung gebend, erreichten die Stalker das Vestibül. Vor ihren Augen bot sich das gewohnte Bild aus Verwüstung und Verfall, aus Müllhaufen und zerklüfteten Wänden. In der düsteren Stille war deutlich ein Rascheln zu vernehmen. Kondor und Schaman folgten dem Geräusch durch den Korridor, schlüpften durch eine offene Tür und fanden sich auf einem Treppenabsatz wieder. Auf den Stufen waren zwischen Schmutzklumpen die Spuren von nackten Menschenfüßen zu sehen. Der kurze Abstieg über einige Treppenabsätze endete in einem weiteren Gang, der zu den Kellerräumen führte. Die Blicke der Stalker richteten sich jedoch gebannt auf den leicht geöffneten Flügel einer hermetischen Tür. Kondor bedeutete
den anderen, draußen zu warten. Dann verschwanden er und Schaman im Inneren.
Gleb und Taran kehrten zum Vestibül zurück, um die Umgebung zu beobachten. Der Junge rückte das Mundstück seines Atemgerätes zurecht. Seine Haut schwitzte unter dem Gummi und juckte furchtbar. Die trostlose Landschaft hinter dem zerschlagenen Fenster begeisterte ihn nicht mehr. Nach dem anstrengenden Gewaltmarsch waren seine Beine schwer wie Blei, und sein leerer Magen knurrte.
»Wie geht es dir, Jüngling?« Bruder Ischkari hockte sich neben ihn und massierte sich die müden Waden.
»Ganz o.k.«, brummte Gleb.
Auf ein Gespräch mit dem halb wahnsinnigen Sektierer hatte er irgendwie keine Lust. Den Jungen interessierte jetzt vielmehr der geheimnisvolle Unbekannte, der sich dort unten verbarg. Ischkari jedoch schien Glebs groben Tonfall nicht bemerkt zu haben. Er kramte in den Falten seines Mantels und reichte Gleb eine abgegriffene Fotografie. Der Junge konnte einen Ausruf der Verwunderung nicht unterdrücken. Auf dem Foto war Wasser zu sehen. Sehr viel Wasser. Bis zum
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