Die Reise ins Licht
Entscheidung selbst. Wälze sie nicht auf die Schultern anderer ab.«
»Weg von meinem Kämpfer!« Kondor wollte Taran schon an der Schulter packen, als dieser sich jäh umdrehte. Ihre Blicke prallten aufeinander.
Gleb machte sich schon auf ein erneutes Handgemenge der zwei unversöhnlichen Rivalen gefasst. Kondors Gesicht war verzerrt. Taran seinerseits jedoch sah ruhig aus, nur in seinen Augen funkelte ein ungewöhnliches, sengend kaltes Feuer.
»Hört auf«, ertönte Okuns Stimme. »Der Wegführer hat Recht. Ich will nicht, dass wegen mir alle draufgehen … Eins noch, Chef. Tu mir den Gefallen, kümmer dich um meine Lieben, wenn ihr nach Hause kommt. Richte ihnen aus, dass …«
Sein Blick begann umherzuirren. Reglos rang der Kämpfer nach Worten. Dann winkte er resigniert ab und entfernte sich. Kondor wollte etwas erwidern, wusste jedoch nicht, was. In seinem Kopf schwirrten alle möglichen Sätze und Abschiedsworte herum, aber sie alle erschienen ihm dumm und heuchlerisch.
Die Kämpfer schwiegen. Nicht einmal Bruder Ischkari vermochte den elenden Stalker zu trösten. Was gab es auch zu sagen – es war ohnehin alles klar. Mit ihm ging es bergab. Sein Marsch war zu Ende.
Okun wandte sich ab und setzte sich auf den zerklüfteten Asphalt der Straße. Zögerlich entfernten sich die anderen. Als Letzter rührte sich Kondor. Mit schleppenden Schritten folgte er den anderen. Immer wieder hielt er inne und blickte zurück. Die Vernunft trieb ihn weiter, aber auf seiner Seele lastete ein schwerer Stein. Er fühlte sich abscheulich.
Sie gingen immer weiter und weiter, bis sich der Wald lichtete und die Straße eine Kurve auf den Damm hinaus machte. Der Wind trieb unermüdlich sandige Schwaden vor sich her, die mal in einer Spirale aufwirbelten, mal wieder auf den Asphalt herabfielen und seltsame Muster bildeten. Doch schon mit dem nächsten Stoß des Herbstwindes verlosch diese vergängliche Schöpfung der Natur, und die kleinen Wirbelstürme setzten ihren Weg rasch fort, um erneut irgendwo am Ufer der Bucht niederzugehen.
Neun unscheinbare Figuren drangen entlang den Trümmern der Überführung weiter vor, bis sie die Brandung erreicht hatten. Vor dem Hintergrund der unendlichen Wassermassen erschienen sie wie winzige, völlig unpassende Details eines imposanten Gemäldes. Die Gefährten schauten auf das Spiel der Wellen und schwiegen bedrückt. Es war immer schwer, Abschied zu nehmen. Aber so … Plötzlich zuckten sie zusammen: In der Ferne war ein Schuss zu hören.
10
DIE ÜBERFAHRT
Die Straße durchschnitt mit einem entschiedenen, schnurgeraden Strich die Newabucht, bis sie irgendwo in der Ferne verschwand. Die Stalker liefen auf dem Damm Ref. 32 entlang, wobei sie das Wasser argwöhnisch im Auge behielten. Der durchdringende Wind zerrte an ihrer Kleidung. Die schäumenden Wellen stürmten ununterbrochen gegen das von Menschenhand errichtete Hindernis. Über dem Rand der Mole erhob sich von Zeit zu Zeit ein Feuerwerk aus schäumenden Spritzern. Die Elemente tobten, als wollten sie die ungebetenen Gäste vertreiben.
Die Gefährten näherten sich einem seltsamen Bauwerk, das an eine Brücke erinnerte. Auf der linken Seite ragten längs des Bauwerks eine Reihe rechteckiger, völlig verrosteter Türme hervor.
Taran warf einen Blick in die Karte. »Die Wasserdurchlass-Anlage W-1. Weiter hinten kommt noch so ein Ding. Über den Damm sind es insgesamt sieben Kilometer bis zur Insel. Woher, sagst du, kam das Licht?«
»Weiß der Geier woher. Irgendwo aus Kronstadt.« Kondor
musterte das Bauwerk. »Hört gut zu: Von hier an werden wir auf jede Kleinigkeit achten. Unsere ›Kontaktpersonen‹ könnten in der Nähe sein. Wahrscheinlich sollten wir auch diese ›Krönchen‹ hier durchkämmen. Was denkst du, Stalker?«
Taran zuckte nur mit den Schultern. Die Kämpfer liefen den Betonscheitel des Wasserwerks entlang und schauten in sämtliche Ritzen und Ecken. Dann klappten sie einen Kanaldeckel auf und stiegen ins Innere der Anlage herab. Dunkelheit, Feuchte und der Lärm des Wassers, das in einem ungestümen Strom unten vorbeirauschte – mehr entdeckten die Stalker während ihres vorsichtigen Rundgangs durch das Innere des Bauwerks nicht. Sie waren bereits auf dem Weg nach draußen, als sie auf einen Abstellraum stießen, voll mit vermoderndem Gerümpel: leere Kanister, Schraubenschlüssel, Kabelrollen …
Gleb schaute sich in dem Raum um, als er plötzlich auf etwas Weiches und Elastisches trat.
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