Die Reise ins Licht
erkennen. Zudem fiel es ihm mit jedem Schritt schwerer zu atmen.
Er riss den Luftschlauch nach oben und warf die Atemmaske beiseite. Frische Luft füllte seine brennenden Lungen. Für einen kurzen Moment verschwand der Kopfschmerz.
Das Sturmgewehr fühlte sich auf einmal so schwer an, dass er es sich über die Schulter hängte. Scheiß auf die Gefahr. Bloß nicht aufhören, sich zu bewegen. Links – und links, eins, zwei, drei …
Er spürte, wenn er jetzt auch nur einen Augenblick stehen blieb, würde er sich kaum zum Weitergehen zwingen können.
Die Wasserflasche war leer, und der quälende Durst wurde langsam unerträglich. Ein stechender Schmerz pochte in seinen Schläfen, hinderte ihn am Nachdenken. Dabei musste er gerade jetzt schnell schalten …
Über dem stillen Wasser stand dichter Nebel. Wie ein weißes, undurchdringliches Leichentuch verhüllte er alles ringsum, so dass nur eine winzige Wasserfläche zu sehen war. Instinktiv spannte Gleb seine Muskeln, denn er wusste bereits, was kommen würde. Eine Welle rollte heran. Und noch eine. Der Junge war am Ertrinken. Er spürte weder Kälte, noch Angst, sondern strampelte einfach müde mit den Beinen. Vergeblich versuchte er, sich dieser unüberwindlichen Kraft zu widersetzen, die seinen Körper unablässig auf den Meeresgrund hinabzog.
Gleb kniff die Augen zusammen, aber das grelle Licht drang sogar durch seine fest verschlossenen Lider. Jemand packte ihn am Arm und zog ihn entschlossen an die Oberfläche. Der Junge glaubte zunächst, es sei sein Meister, doch das Letzte, was er in seinem schwindenden Traum erblickte, war Bruder Ischkaris Gesicht. In höchster Aufregung schrie dieser ununterbrochen: »Wo ist er? Wo ist er?«
Gleb fuhr hoch, rieb sich die Augen und blickte sich um. Rucksäcke und leere Konservendosen lagen wild durcheinander. Die Stalker drängten sich um ihren Kommandeur.
Dieser presste den verängstigten Ischkari an die Wand und schüttelte ihn heftig.
»Wo ist Okun?! Rede, du Scheinheiliger! Wo ist mein Kämpfer?!«
Der Sektierer baumelte in Kondors Armen, blickte sich gehetzt um und murmelte etwas Unverständliches.
»Lauter!«
»Ich sage dir doch, er hat geschlafen. Ich weiß nicht, wo er steckt«, plärrte der Sektierer. Vor lauter Schreck waren mit einem Mal die schwülstigen, gezierten Phrasen aus seiner Sprache verschwunden. »Er hat nur gesagt, schlaf weiter, ich halt Wache.«
»Pah! Worüber habt ihr gestern Abend geredet?!«
»Über die Arche! Er sagte, dass er noch nie in seinem Leben Schiffe gesehen hat. Ich habe ihm von der ›Warjag‹ erzählt.«
Kondor ließ den Sektierer herunter und wandte sich seinen Kameraden zu.
»Er ist zum Hafen gegangen, der Teufelsbraten. Sucht immer noch, womit er was verdienen kann. Packt eure Sachen! Vielleicht finden wir ihn ja.«
»Klar, finden werden wir ihn. Oder alle krepieren. Der ist doch längst hinüber«, brummte Ksiwa halblaut, während er seinen schäbigen Schlafsack zusammenrollte.
Diese wohl eher so dahingesagten Worte brachten Kondor zur Raserei.
»Was? Was faselst du da?!« Der Kommandeur packte den Kämpfer am Revers. »Ich hör wohl nicht recht: Das ist doch dein Kumpel! Deiner!«
Schaman trat eilig hinzu. »Hör schon auf, er hat doch nur dummes Zeug geredet. Kann jedem mal passieren.«
Kondor fluchte.
»Hab schon kapiert!« Ksiwa riss sich von Kondor los. »Komm endlich runter.«
Die Kämpfer durchbohrten einander mit Blicken. Schließlich senkte Ksiwa den Kopf, wandte sich ab und begann fahrig seinen Rucksack zu packen.
Kondor zog sich erbittert den schweren Schutzanzug über den Rücken. »Der Belgier hinterlässt eine einjährige Tochter in der Metro. Okun hat eine Frau und einen kleinen Sohn. Was soll ich ihnen sagen? Tschuldigung, aber die sind leider ›hinüber‹?! Sucht euch neue Männer und neue Väter?!«
Schweigend machten sich die Kämpfer fertig.
»Ein Scheißleben ist das. Und eine Scheißwelt. Wo du auch hinschaust, überall nur Tod. Und immer muss er die Besten holen, das Arschloch! Um solche jämmerliche Gestalten dagegen« – Kondors Finger zeigte auf den Sektierer – »macht er einen großen Bogen! Weder Verstand noch Kraft! Sogar die Mücken verschmähen solche Typen wie den.«
»Nicht so hastig, Chef. Ich finde, du beerdigst Okun etwas zu früh. Vielleicht finden wir ihn noch.«
Sie brauchten gar nicht lang zu suchen. Kaum hatten sie das Bahnhofsgebäude verlassen, als hinter einer Ecke unsichere Schritte hörbar
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