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Die Reise ins Licht

Die Reise ins Licht

Titel: Die Reise ins Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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lief hin und her. Der Gedanke an Selbstmord erschien ihm plötzlich fürchterlich feige. Vielleicht gelang ihm ja, was die anderen nicht vermocht hatten? Er musste es versuchen. Er würde die Mission zu Ende bringen, für seine gefallenen Kameraden.
    Als er seine Zweifel endgültig überwunden hatte, marschierte er los, vorbei an den Anlegedocks und den Ruinen des Frachtterminals. Er passierte das Wrack eines riesigen Lastkahns, der einsam auf einer Sandbank direkt neben dem Pier vor sich hinrostete, und ließ den engen Absperrdamm zwischen dem Holzhafen und dem Kohlehafen hinter sich. Jetzt trennte den Jungen von der Lichtquelle nur noch etwa ein halber Kilometer über eine breite Mole,
die sich wie eine riesige gerade Klinge in die Wasserfläche des Meerbusens einschnitt.
    Angst hatte er keine mehr. Sie war verschwunden und hatte einer aufkommenden starrsinnigen Hoffnung Platz gemacht.
    »Ich gehe zum Licht, dem Licht der Erlösung«, begann Gleb die Worte des Sektierers zu murmeln. »Zum Licht …«
    Ein schwarzer Schatten kam ungestüm vom Hangar auf ihn zugeflogen. Mit einer zuckenden, reflexhaften Bewegung brachte Gleb die Pistole in Anschlag. Dabei half ihm der unbewusste Grundsatz, den alle Bewohner der Metrowelt befolgten: Jeder Unbekannte, der in der Dunkelheit sein Kommen nicht ankündigt, ist ein Feind. Ein Schuss krachte, dann ein zweiter. Etwas Unförmiges fiel wie ein lebloser Sack in den Schlamm. Gleb hatte keine Zeit, seinen Angreifer näher zu betrachten. Stattdessen beschleunigte er seinen Schritt und lief auf den Leuchtturm zu, der Rettung verhieß.
    »Diese Prüfungen sind uns von oben gesandt. Wer im Geist schwach ist, ist auch schwach im Verstand …«
    Eine weitere Silhouette löste sich von einer Mauer, trat jedoch beim Anblick der glänzenden Pernatsch in den Händen des Jungen den Rückzug an. Das Aufblitzen der Schüsse erhellte für einen Moment die undeutliche Gestalt, die entweder in Lumpen gehüllt war, oder in Fetzen von grauem Fell. Oder waren es Flügel? Die Schöße eines Mantels? Das Wesen zuckte zusammen und fiel rücklings nieder.
    Auf der Seite lösten sich einige weitere Gestalten aus der Dunkelheit und stürzten auf ihn zu. Mit geschmeidigen
Sätzen bewegten sie sich vorwärts. Waren das Buckel oder trugen sie Kapuzen?
    Gleb feuerte konzentriert, ohne Panik. Ihm war bewusst, dass er allein war und keinerlei Hilfe zu erwarten hatte.
    Der Überfall hörte ebenso unerwartet auf, wie er begonnen hatte. Der Junge lauschte und musterte misstrauisch die zerbrochenen Eisenträger, die hier haufenweise herumlagen. Es war still. Keine Menschenseele zu sehen.
    Gleb blickte nach vorn. Vor dem Hintergrund des aufgehenden Mondes zeichnete sich deutlich die hohe Kuppel des Leuchtturms ab. Der Lichtstrahl, der den Dunst des nächtlichen Nebels auseinandertrieb, zeigte in Richtung Petersburg. Nun bestand kein Zweifel mehr: Er hatte das Signal gefunden!
    Mit jedem Schritt wuchs der stolze Turm, wurde höher, gewann an Haltung. Er befand sich am äußersten Rand der Mole, genauer in einer mit Stein ausgekleideten Ecke des Kais. Das Gebäude bildete ein harmonisches Ganzes mit den glänzenden Wellen im Hintergrund, als ob es ein Teil der Landschaft dieser rauen Insel wäre.
    Der Junge war so von diesem Anblick gefangen, dass er die Bewegung am Ufer beinahe nicht bemerkt hätte. Hastig lief Gleb auf einen Turmkran zu, der nicht weit von ihm entfernt vor sich hinrostete, und versteckte sich zwischen den von dichtem Unkraut bewachsenen Pfeilern. Aus seinem Schlupfwinkel erkannte er die Barkasse, die in der Nähe des Ufers auf dem Wasser schaukelte. Es schien dieselbe zu sein, mit der die Stalker weggefahren waren. Hatten sie es sich anders überlegt? Sein Herz machte einen
Hüpfer vor Freude, die jedoch sogleich blankem Entsetzen wich: Über die schwankende Gangway stiegen sonderbare Menschen herab, deren Kleidung schon bessere Zeiten erlebt hatte. Sie trugen zerrissene Regenmäntel, willkürlich um den Körper gewundene Lumpen … Jetzt bestand kein Zweifel mehr: Diese Wesen gehörten zu der gleichen Art wie jene lumpigen Geschöpfe, die ihn zuvor angegriffen hatten: Es waren Menschen. Als Gleb näher hinsah, bemerkte er unförmige Bündel, die an der Gangway lagen. Die sonderbaren Leute – ihre Gesichter waren von hässlichem Schorf überzogen – schlugen Bootshaken in ihre Beute und schleiften sie über die Erde fort. Als der Junge genauer hinschaute, hätte er beinahe aufgeschrien: Es waren

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