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Die Reise ins Licht

Die Reise ins Licht

Titel: Die Reise ins Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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uns die Gesellschaft mit allen Kräften zu bewahren sucht? Der Instinkt lässt den Menschen vor der Gefahrenquelle fliehen, ihn das Leid seines Nächsten nicht bemerken, zwingt ihn zu stehlen, zu rauben und zu morden. Und der Mensch flieht, übersieht, stiehlt, raubt und mordet tatsächlich – und dies alles jenem prinzipienlosen Wesen in seinem Inneren zuliebe, das ihm zuruft: Lebe! Erst später, wenn die eigene Haut gerettet ist,
kommen Reue und Gewissensqualen. Und das nicht mal bei allen. Für manch einen sind diese Qualen wie ein Schluckauf nach einem reichhaltigen Mittagessen.
    Der Schluckauf geht vorüber, und auch das Gewissen beruhigt sich mit der Zeit. Auch dies jedoch nicht bei allen. Die Seelen der Menschen sind zu verschieden, um eine allgemeine Regel abzuleiten. Aber eines lässt sich sagen: Die einen lernen, gegen ihr Gewissen anzukämpfen, die anderen gegen ihren Selbsterhaltungstrieb.
     
     
    Gleb betrat den hallenden Metallboden des Leuchtturms und blickte sich um. Eine enge Wendeltreppe führte bis ganz hinauf in die Spitze. Die verrosteten Stufen wirkten nicht sehr vertrauenerweckend, aber was blieb ihm anderes übrig? Der Junge zog die Pistole und begann mit dem Aufstieg. Dabei starrte er angespannt in die Windungen des engen Ganges. Er hatte das Gefühl, dass hinter jeder Kurve der Feind auf ihn wartete, doch begegnete er auf seinem Weg keiner einzigen lebenden Seele. Nur eine Ratte huschte an seinen Füßen vorbei und verschwand mit lautem Quieken in der Dunkelheit.
    Gleb passierte einige Zwischengeschosse und näherte sich immer weiter dem Scheitel des Gebäudes. Kurz vor Ende des Aufstiegs stieß er auf ein unerwartetes Hindernis: Der Durchgang war mit Eisentruhen vollgestellt, von denen aus ein dickes Kabel über die Stufen nach oben führte. Bei näherem Hinsehen erkannte er, dass es sich um sperrige Akkumulatoren handelte. Etwas Ähnliches stand im Generatorraum an der Moskowskaja für den Fall, dass
der altersschwache Dieselmotor unbrauchbar würde. Diese Akkumulatoren hier waren allerdings ungleich größer.
    Als Gleb dieses Hindernis hinter sich gelassen hatte, hörten die Stufen plötzlich auf, und er stand am Eingang zu einem runden Raum. Auf der anderen Seite des Zimmers war eine kleine Treppe zu sehen, die zu einer außen umlaufenden Plattform führte. Im matten Strahl seiner Lampe erkannte er einige weitere Akkumulatoren, die durcheinander an der Wand herumstanden. Auf dem steinernen Fußboden entdeckte er zudem Spuren einer Zusammenkunft, die sich erst vor kurzem ereignet haben musste – der graue Fleck eines Feuers, leere Flaschen, Knochen … Der Junge wich dem Anblick der Essensreste aus und betrat den Raum. Fast alle Möbelstücke waren zu Brennholz geschlagen worden, außer einem sperrigen Schrank voller Gläser, Lumpen und anderem Hausrat, der einsam an der Wand stand und ergeben seines Schicksals harrte.
    Gleb folgte mit seinen Augen dem Kabel, das sich durch das Zimmer schlängelte, stieg die kleine Treppe zur Spitze des Turms hinauf und trat schließlich auf die Plattform hinaus. Aus schwindelerregender Höhe blickte der Junge auf das Panorama der riesigen Wasserfläche vor ihm hinab. Krampfhaft klammerte er sich an die Brüstung und schloss die Augen. Ein schneidender Wind riss wütend an den Falten seiner Kapuze. Der lange Turm schien unter dem Andrang der Elemente zu wanken.
    Von hier waren die Umrisse der Uferhochhäuser auf der Wassiljewski-Insel deutlich zu sehen. Irgendwo dort, hinter vielen Kilometern grenzenloser Wasserfläche, gab es noch Leben – wenn auch unter der Erde, ohne Sonnenlicht,
aber doch Leben. Gleb sehnte sich auf einmal furchtbar nach seinem Zuhause, der Moskowskaja . Oder dem Keller von Taran, auch wenn dieser Ort ohne den Stalker nie mehr so behaglich sein würde wie früher. Der Junge seufzte. Wie großartig wäre es, die Suche einfach von neuem zu beginnen. Gleich hier! Und nichts von der Metro zu wissen. Einfach mit Taran und den Stalkern aus Kondors Trupp loszulaufen, in der Hoffnung, ein neues Zuhause zu finden und zu guter Letzt – die unterirdische Welt von Petersburg mit ihren Stationen zu entdecken! Und dann die Moskowskaja zu betreten …
    Verglichen mit der oberirdischen Welt war der Untergrund das reinste Paradies! Ohne Atemmaske zu laufen, keine Überfälle von hungrigen Raubtieren zu fürchten, nicht sehr sauberes, aber dennoch ungefährliches Wasser zu trinken … War das nicht das Gelobte Land? Lohnte es sich, noch weiter zu

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