Die Reise Nach Helsinki
es wieder nur
der Työmies [Der
Arbeiter] ab«, echauffierte sich Terttu, »und wahrscheinlich wieder
nur auf den hinteren Seiten. Die konservativen Blätter ignorieren
uns sowieso.«
»Und ich dachte, in Finnland wäret
ihr schon weiter als wir«, seufzte Lina, »wahrscheinlich vergehen
noch hundert Jahre, bis die Gesellschaft endlich die Rechte der
Frauen achtet. Wenigstens werden sie hier nicht zusammengeprügelt
wie in England.«
»Oh, ich weiß nicht, ob das manche
von unseren Männern nicht auch am liebsten machen würden.
Jedenfalls das Joch des Gebärens streifen wir jetzt ab, kommt, ihr
könnt mir helfen, die Kondome auszuteilen.« Terttu zwinkerte. »Zum
Johannisfest steigt der Verbrauch ganz enorm. Nehmt euch auch
welche mit, man kann nie wissen.«
Sie holte einen Karton voller
Kondompäckchen aus ihrer Tasche. »Bestes Kautschuk, ohne Längsnaht
und garantiert reißfest. Wir haben hundert Dutzend auf Lager. Eine
von unseren Mitstreiterinnen ist die Nichte eines schwedischen
Kondomfabrikanten, sie hat ihn zu der großzügigen Spende
überredet.«
»Nimm dir welche mit«, flüsterte
Lina, »es kann doch wirklich nicht schaden, sie
dabeizuhaben.«
Anna dachte an Hugo Blank und wurde
rot, aber eigentlich beschäftigten sie Minnas Verhalten und die
Vorgänge hinter der Glastür. War sie schon so weit, dass sie
Gespenster sah? Sie beschloss, später mit Lina darüber zu reden und
erst mal so zu tun, als sei nichts gewesen. Und was die Kondome
betraf, hatte Lina Recht, Vorsicht war die Mutter der
Porzellankiste. Man konnte nie wissen.
»Dann aber du auch«, raunte sie,
»allein traue ich mich nicht.«
Linas Blick verdunkelte sich, aber
sie stellte sich gemeinsam mit Anna in die Schlange, die sich vor
Terttu aufgereiht hatte. Schnell nahmen sie die Päckchen und
verstauten sie in ihren Taschen. Annas Wangen brannten vor
Scham.
»Das muss euch nicht peinlich sein«,
zwitscherte Terttu, »ich finde, wir Frauen
müssen zuallererst lernen, uns nicht immer für alles zu
schämen.«
Nachdem alle versorgt waren, schloss
Minna die Versammlung mit einem Hinweis auf das nächste Treffen in
vier Wochen, das sich dem Thema »Frieden in unserer Gesellschaft«
widmen sollte. Sie wirkte abwesend und überließ auf dem Rückweg ins
Stadtzentrum Terttu das Gespräch.
»Durch die finnische Gesellschaft
gehen so viele Risse«, klagte Terttu, »die Konstitutionalisten, das
sind die konservativen, schwedisch sprechenden Finnen, fordern dazu
auf, die Anhänger der Anpassungsbewegung, das sind die, die sich
mit den Russen arrangieren, wie Pestkranke oder Schwerverbrecher zu
behandeln. Wenn das so weitergeht, stehen hier bald Mord und
Totschlag auf der Tagesordnung, es gibt Stadtviertel in Helsinki,
da kaufen bestimmte Leute nur in bestimmten Geschäften ein, und es
gibt Bestrebungen, unterschiedliche Schulen für die
Konstitutionalisten und die Angepassten einzurichten.«
»Dann lernen die ja niemals, sich zu
vertragen«, warf Anna ein.
»Genau das denken wir auch, damit
würde man die Gräben nur immer tiefer machen. Wir wollen uns dafür
einsetzen, dass die Gruppen miteinander sprechen, anstatt sich mit
Steinen zu bewerfen, aber das ist sehr, sehr schwer.«
Sie erreichten die Esplanade, und
Terttu schlug vor, im Hotel »Kämpi« noch einen Portwein zu trinken.
Anna hatte überlegt, ob sie Minna auf die seltsame Beobachtung im
Arbeiterhaus ansprechen sollte, ließ es dann aber, weil ihre Tante
auch im Restaurant schweigsam und bedrückt blieb und Anna die
Szene, je länger sie zurücklag, immer unwirklicher
vorkam.
»Morgen kommen unsere Polizisten in
Helsinki an«, sagte sie und hob ihr geschliffenes Glas, in dem der
Wein dunkelrot leuchtete. »Sie arbeiten ja wohl eng mit eurer
Kriminalpolizei zusammen, mal sehen, was dabei
herauskommt.«
Terttu war begeistert und prostete
ihr zu. »Dann seid ihr ja zum Johannisfest noch alle da, die Herren
werden doch nicht gleich wieder abreisen?«
»Ulla möchte ein Fest machen, ich
glaube, sie erwartet uns alle«, sagte Anna, »ist es nicht schon am
nächsten Samstag?«
Terttu trank schnell ihr Glas aus
und bestellte ein zweites, sie schwärmte mit glitzernden Augen von
zwei deutschen Offizieren, denen sie am Hafen den Weg erklärt
hatte, und lobte deren Charme. »Die Deutschen sind so feurig und
leidenschaftlich, davon können sich unsere langweiligen finnischen
Männer mal eine Scheibe abschneiden. Ihr müsst mich unbedingt alle
zusammen in meinem Sommerhaus besuchen,
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