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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Gibiec
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Hugo sprach ruhig und versuchte, so wenig amtlich wie
möglich zu klingen, um Minnas Verunsicherung nicht zu
verstärken.
    »Ja«, antwortete sie, »er ist
Mitglied der Sozialdemokraten, daher kenne ich ihn. Was ist mit
ihm? Er ist ein russischer Arzt und nach Finnland geflohen, wie
viele verfolgte Anarchisten.«
    »Wie lange kennen Sie ihn
schon?«
    »Seit vier Jahren, seitdem er aus
Sankt Petersburg nach Helsinki kam.« Minna wurde rot. »Zunächst
hatte ich eine Liebesbeziehung zu ihm, wir waren zwei Jahre
zusammen.«
    »Warum haben Sie sich getrennt, und
welcher Art ist Ihre Verbindung jetzt?«
    Minna wand sich. »Letztendlich merkt
man irgendwann, dass man eben doch nicht zusammenpasst, wie die
Dinge so gehen. Aber ich schätze ihn nach wie vor, er ist ein
hervorragender Arzt und Psychiater, im Winter kümmert er sich um
Riikkas Onkel Matte, wenn er in Helsinki ist, ich sagte Ihnen ja
schon, dass Matte krank ist. Riikka und ich sind Oleg sehr dankbar,
er ist ein guter Mensch mit einem hohen sozialen Bewusstsein und
ein sehr guter Arzt, er versucht, mit den Kranken zu reden, anstatt
sie mit Medikamenten voll zu pumpen oder sie in die Anstalt zu
bringen. Das war auch einer der Gründe, weshalb er aus Russland
fort musste, er hat die Verhältnisse dort kritisiert und für eine
bessere ärztliche Versorgung der Armen gekämpft. Matte wohnt, wenn
er hier ist, meistens in einem Zimmer in Olegs Wohnung, das ist
einfacher, als wenn er bei mir oder bei Riikka wäre. Wir bezahlen
etwas dafür, aber eigentlich ist das, was Oleg tut,
unbezahlbar.«
    »Wie äußert sich die Krankheit von
Herrn Turi genau?« Eino nahm einen Schluck Kaffee und lehnte sich
zurück.
    »Oleg sagt, er sei
manisch-depressiv, wir denken, dass die Ursache in dem schweren
Leben zu suchen ist, das Matte gehabt hat, er hat ja auf
schreckliche Weise seine ganze Familie verloren, bis auf
Riikka.«
    »Manisch-depressiv heißt, er ist oft
traurig und schwermütig, aber auch manchmal übertrieben unruhig und
aktiv bis hin zur Aggressivität? Himmelhoch jauchzend, zu Tode
betrübt?« 
    »So könnte man es sagen. Aber Oleg
gelingt es eigentlich immer wieder, ihn zu beruhigen, er spricht
mit ihm nach der neuen Methode von Sigmund Freud, der ist Ihnen ja
vielleicht ein Begriff, und wenn es schlimm wird, gibt er ihm
zusätzlich Brom.« Minna knetete immer noch ihre Hände, ihre Stimme
war kaum zu hören. »Mattes Problem ist auch, dass er sich hin- und
hergerissen fühlt zwischen Inari und Helsinki, weil Riikka hier
lebt und er bei ihr sein möchte, aber eigentlich ist die Stadt
nicht das Richtige für ihn, seine Tiere und seine Berge fehlen ihm,
seine ganze Kultur fehlt ihm. Hier wird er ja angestarrt wie eine
Kirmesfigur, wenn er sich in seiner Tracht auf der Straße
zeigt.«
    »Es ist doch richtig, dass Matte
Turi Pekka Salander gehasst und ihm die Schuld an seinem Unglück
gegeben hat«, stellte Hugo fest. »Würden Sie ihm zutrauen, Fräulein
Salander, dass er das Paket geschickt hat, vielleicht in einem
manischen Schub, vielleicht ohne zu wissen, was er tat?«
    Minnas Antwort kam stoßweise
zwischen Schluchzern hervor. »Ich weiß es nicht, ich zerbreche mir
Tag und Nacht den Kopf darüber. Matte konnte manchmal wild und
rasend sein, er hat auch böse Dinge gesagt, und in diesem Frühjahr
stand es eine Weile gar nicht gut um ihn. Aber dann war es
plötzlich besser. Bevor er nach Inari zurückfuhr, war er ganz
friedlich, fast heiter, er freute sich auf seine Herde und den
Sommer, und wir waren eigentlich ganz beruhigt.«
    »Könnte es sein, dass er zufrieden
war, weil er etwas erledigt hatte, das ihm sehr auf der Seele
gebrannt hat?«
    Minna schlug die Hände vor das
Gesicht und fing an zu weinen. »Woher sollte er Pekkas Adresse
haben, es gab ja bei uns keinerlei Hinweise auf seine Existenz. Und
auch das Gift, ich kann mir nicht vorstellen, wo Matte das hätte
auftreiben können. Das kauft man doch nicht einfach im Geschäft
oder an der Straßenecke, und er ist auf keinen Fall in der Lage,
sich so etwas in kriminellen Kreisen zu besorgen.«
    »Halten Sie es für möglich, dass er
eine deutsche Zeitung mit einer Geschäftsanzeige des Pelzhauses
Salander in die Hände bekommen hat?«
    »Ich wüsste nicht, woher«, sagte
Minna, »ich kann es mir ganz und gar nicht vorstellen, wer ihm die
hätte geben sollen. Bei uns gibt es keine Adresse und keine
Zeitung, und andere Kontakte außer Oleg hatte er hier ja
nicht.«
    »Wissen Sie, dass Dr. Skrijabin im
Mai in

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