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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Gibiec
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Vorwürfe, das nicht verhindert zu
haben, nicht auf ihn geachtet zu haben, zugelassen zu haben, dass
er zum Mörder wird. Aber Sie müssen mir glauben, dass er nicht
dafür verantwortlich ist, dass es irgendeine schreckliche
Verkettung von Umständen gegeben haben muss, die dahin geführt hat.
Matte hat entsetzliche Schmerzen und Angst erfahren und muss sie in
seiner Krankheit immer wieder durchleiden. Das hat vielleicht
bewirkt, dass er schuldig geworden ist. Aber die Krankheit ist
selbst schon Strafe genug, er darf nicht noch einmal gequält
werden, Sie dürfen ihn nicht einsperren, bitte!« Minnas Stimme
versagte, sie sah stumm in ihren Schoß.
    Die Polizisten standen auf. »Wir
bitten Sie, uns zu benachrichtigen, wenn irgendetwas ist«, sagte
Hugo in der Tür. »Lassen Sie uns zusammenarbeiten, wir werden uns
bemühen, die größtmögliche Rücksicht auf Herrn Turi zu nehmen.
Werden Sie morgen bei Soderbergs sein?« 
    »Wer weiß, was morgen ist«,
flüsterte Minna und rang mühsam um Fassung, »aber wenn es möglich
ist, werde ich kommen. Ich will doch Anna an ihrem ersten
Johannisfest nicht allein lassen.«
    »Wir müssen Skrijabin und Turi
finden, möglichst noch vor Mittsommer«, sagte Eino, als sie draußen
waren. Sie beschlossen, zivile Posten vor den Häusern von Riikka,
Minna und Oleg Skrijabin aufzustellen, außerdem sollten die
Streifen in der Innenstadt, die für die Mittsommernacht ohnehin
verstärkt wurden, besonders auf die beiden angesetzt
werden. 
    Bad Neuenahr, den 20. Juni
1912
    Morgen ist ja Mittsommer, weißt du
noch, Annakind, wie Pekka dann immer das Lied von der Schaukel
gesungen und uns die finnischen Tänze gezeigt hat?
    Keinu keinuni korkealle nythän on
juhannus ilta
    [Schaukel, meine Schaukel, in die
Höhe, heute ist Johannisabend] 
    Und wie er von der Birkenschaukel
erzählt hat, auf der er und seine Schwester an den Sommertagen
durch die Luft geflogen sind. Immer in den Himmel hinein, Louiss,
wir wollten Schwalben sein. Wie oft denke ich an die Zeit, als er
noch bei uns war, als wir noch in Frieden lebten und dieser
Alptraum noch nicht über uns gekommen war.
    Ich will jetzt zum Ende kommen. Ich
bin ganz ruhig, sogar Dr. Vollberg hat gesagt, Fräulein
Brüninghaus, mir scheint, die Kur schlägt gut an, Sie sehen besser
aus, und Ihre Nerven scheinen sich beruhigt zu haben. In der Tat
schlafe ich inzwischen auch ohne die Tropfen, ich brauche nur etwas
Paraldehyd. Es reicht mir schon, die Fläschchen in meinem
Nachttisch zu wissen, wo sie auf den Augenblick warten, für den ich
sie bestimmt habe. Dr. Vollberg wollte mich auch zu einer
Psychotherapie nach diesem Freud überreden,
aber ich habe es abgelehnt. Was hätte ich ihm denn erzählen können?
Dass ich einen Mord auf dem Gewissen habe? Dass ich aus Dummheit
und Egoismus den Mann um sein Leben gebracht habe, den ich mehr
geliebt habe als alles andere auf der Welt?
    Emma hat sich tatsächlich
breitschlagen lassen, zweimal in der Woche legt sie sich auf
Vollbergs Couch, sie sagt, sie kann sich richtig aussprechen bei
ihm, sie hat das Gefühl, endlich hört ihr mal jemand zu. Aber ich
weiß nicht, welchen Erfolg das haben soll, außer dass sie einen
Zeitvertreib hat und dass es die Kosten für unsere Kur ordentlich
in die Höhe treibt. Schließlich habe ich ihr ja schon all die Jahre
zugehört, ihren endlosen Klagen über Pekka und dich, über ihre
Schlaflosigkeit und die ganzen Ungerechtigkeiten, die ihr das Leben
angeblich zugefügt hat, und genützt hat es gar nichts. Immer habe
ich stillgehalten, niemals, niemals habe ich eine Andeutung darüber
gemacht, wie gerne ich an ihrer Stelle gewesen wäre, wie dumm und
unnötig und ungerecht ich ihr ganzes Gejammer fand. Trotz der
Psychotherapie hat ihr Kuchen- und Pralinenverbrauch nicht
abgenommen, mittlerweile könnte man sie durch den Kurpark rollen,
wenn sie sich denn mal zu einem Spaziergang aufraffen würde. Aber
dazu ist sie nicht zu bewegen, der Rücken, sagt sie, und die Knie,
alles schmerzt, ich werde noch im Rollstuhl enden. Kein Wunder,
denke ich und drehe jeden Nachmittag allein meine Runden, und das
ist auch ganz gut so, weil ich in Ruhe darüber nachdenken kann,
wann und wie ich alles nun zu einem richtigen Abschluss
bringe. 
    Seltsamerweise hatte Emma relativ
kühl reagiert, als ich ihr das Foto von Lina Pasche mit der Widmung
zeigte. Pekka wird alt, sagte sie nur spitz, jetzt hat er es also
schon nötig, auf die jungen Verkäuferinnen zurückzugreifen. Dieses
Luder,

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