Die Reise Nach Helsinki
Kongress nach Barmen geschickt
worden. Durch den Kontakt zu Minna Salander und Riikka Turi habe er
gewusst, dass Frau Salanders Bruder in Elberfeld ein Geschäft
betrieb, das habe er sich ansehen wollen. Es sei allerdings nicht
seine Absicht gewesen, etwas zu beobachten, er habe einfach
interessiert geschaut, auch um Minna Salander später darüber
berichten zu können.
Warum er nicht hineingegangen sei
und Herrn Salander persönlich aufgesucht habe?
Er habe es vorgehabt, antwortete
Skrijabin, aber etwas habe ihn zurückgehalten, vielleicht eine
Scheu, weil er ja gewusst habe, dass die familiären Beziehungen
getrübt gewesen seien. Außerdem habe er bemerkt, dass eine junge
Frau ihn vom Fenster aus gesehen habe - mittlerweile wisse er, dass
es Salanders zweite Tochter gewesen sei -, das sei ihm unangenehm
gewesen, da sei er schnell fortgegangen.
Aber dann sei er ja auch auf der
Beerdigung von Herrn Salander gewesen.
Oleg Skrijabin war erstaunt. »Es
waren so viele Menschen dort, ich dachte nicht, dass ich
irgendjemandem auffalle. Ich habe ja in Barmen gewohnt bei der
Familie Wichelhaus, das sind sehr gastfreundliche Menschen,
Mitglieder der deutschen SPD. Von ihnen erfuhr ich von dem Mord an
dem finnischen Pelzhändler, die Zeitungen waren auch voll davon. So
bin ich hingegangen, einmal, weil es mich sehr betroffen machte,
aber auch, um Minna davon erzählen zu können.«
»Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu
Minna Salander beschreiben?«, schaltete sich Hugo ein. »Sie sagte
uns, Sie hätten früher eine Beziehung gehabt.«
Der Russe sah verlegen auf den
Boden. »Ich liebe und verehre Minna«, sagte er schließlich leise,
»wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir uns nicht getrennt. Sie
wollte es, sie sagt, sie könne so enge Beziehungen nicht aushalten,
es liege nicht an mir, sondern ganz allein an ihr.«
Hugo sah ihn voller Verständnis an.
»Manchmal wird man nicht schlau aus den Frauen, und die
Salanderschen scheinen besonders kompliziert zu sein.«
Oleg hob die Schultern und lächelte
hilflos.
»Die nächste Station, wo Fräulein
Salander und Fräulein Pasche Sie dann wieder trafen, war das Schiff
nach Helsinki«, nahm Eino das Verhör wieder auf, »war es Zufall,
dass Sie ausgerechnet die gleiche Passage genommen
haben?«
Oleg wurde rot und blass, er knetete
seine Hände in der gleichen Weise wie am Nachmittag Minna, dann
nickte er.
Die Polizisten schwiegen eine Weile
und nippten an ihren Kaffeetassen.
»War es wirklich Zufall, dass Sie
auf diesem Schiff waren? So richtig nachvollziehbar erscheint mir
das nicht«, setzte Hugo nach.
Oleg verstand, ohne dass Eino
übersetzen musste. »Ich habe den Kongress besucht, an dem auch
Friedrich Ebert teilgenommen hat, es war ein Erlebnis für mich,
diesen großen Sozialdemokraten kennen lernen zu dürfen. Dann habe
ich zusammen mit den Wichelhausens von Köln aus eine Schiffstour
auf dem Rhein gemacht, ich habe die Schlösser und die Burgen
gesehen und die berühmte Loreley, wir sind zusammen auf den Kölner
Dom gestiegen, außerdem habe ich Ausflüge durch das ganze Rheinland
unternommen, bis Trier bin ich gefahren, um mir das Geburtshaus von
Karl Marx anzusehen. Und dann bin ich eines Tages wieder nach
Finnland gefahren.«
Er antwortete auf Finnisch und sah
die Polizisten nicht an, seine großen, hellen Augen flogen durch
den Raum.
Eino übersetzte, Hugo beugte sich
vor und legte Schärfe in seine Stimme.
»Herr Dr. Skrijabin, ich muss Sie
auf etwas sehr eindringlich hinweisen. Wir ermitteln wegen eines
Mordes, der sehr feige und hinterhältig begangen wurde, Sie wissen,
wie die Geschichte abgelaufen ist. Für uns verdichten sich die
Hinweise darauf, dass Herr Matte Turi etwas mit dem tödlichen Paket
zu tun haben könnte. Sie sind eine seiner engsten Bezugspersonen,
Sie müssen uns die Wahrheit sagen und mit uns kooperieren, sonst
könnte es sehr schwierig werden, für Herrn Turi, aber auch für Sie.
Wir möchten natürlich um jeden Preis Zwangsmaßnahmen vermeiden.
Also noch einmal: War es Zufall, dass Sie ausgerechnet das gleiche
Schiff genommen haben wie Fräulein Salander und ihre
Begleiterin?«
Oleg sank noch mehr in sich
zusammen. »Nein«, flüsterte er schließlich, »das war kein Zufall.
Ich erzähle Ihnen, wie es war, von Anfang an.«
Matte war, wie schon in den Wintern
zuvor, Ende Oktober 1911 nach Helsinki gekommen und hatte wieder
bei Dr. Skrijabin gewohnt. Sein Spezialgebiet war die moderne
Psychiatrie, vor allem hatte er sich
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