Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
Auge zerlegte sich der Gleiter in Einzelteile und Martin setzte ihn im Geist wieder zusammen.
»Er wurde so gebaut, dass man aus seinen Teilen etwas anderes bauen kann.«
»Ein Biwak für kalte Nächte?«
»Nein, einen kleinen Schneesegler.«
»Einen Schneesegler. Du meinst ein richtiges Segelschiff, um die Eiswüste zu befahren?«
»Genau. Aus den Tragflächen entstehen die Segel und aus der Schwanzflosse kann ein Ausleger gebaut werden, der auf der Leeseite eingesetzt wird. Beim Wenden muss er jeweils ummontiert werden.«
»Du bist genial; Martin, wenn das funktioniert, fahren wir morgen der Abbruchkante entlang Richtung Stonehenge.«
Sie kramte ein Stück Folie aus ihrem Mantel und breitete sie im Windschatten des umgekippten Gleiters aus. Dann schüttete sie aus einem Zylinder etwas Karbonfluxer darauf und setzte ihn vorsichtig in Brand, indem sie Speichel aus ihrem Mund darauf tropfen ließ. Der Karbonfluxer begann sofort zu glühen, zuerst rot, dann gleißend hell, und spendete dabei so viel Wärme wie ein großes Lagerfeuer. Sie setzten sich beide auf die Schwanzflosse, die Martin abmontiert hatte, mit den Rücken an die Passagiergondel des Gleiters gelehnt. Eliane formte wiederum einen kleinen Teekessel aus einem Stück Folie, und schmolz Schnee über dem Karbonfluxer. Aus einem Metallzylinder gab sie ein wenig von ihrem goldenen Teepulver dazu.
»Das wird uns zusätzlich warm halten«, sagte sie.
»Wie gelangen wir nach Stonehenge? Gibt es von dieser Seite einen Weg, der nach unten führt?«
»Auch auf dieser Seite existiert ein Fort. Ebenfalls mit einem Kran für Schiffe und einem Personenlift. Wir können es nicht verfehlen, wenn wir am Graben entlang fahren.«
»Lass mich mal raten. Es heißt sicher Fort Marconi«, feixte er.
»Nein, wie kommst du darauf? Es ist Fort Watt. Benannt nach James Watt, dem Erfinder der Dampfmaschine.«
»James Watt hat sie nur perfektioniert. Zumindest dort, wo ich herkomme, war Thomas Newcomen der eigentliche Erfinder.«
»Du weißt viel über Technik, Martin, aber du bist ein schlechter Kämpfer. Das ist ein Nachteil hier auf Tiffany.«
»Darum bin ich froh, dich an meiner Seite zu haben.«
»Ich habe mir immer einen Mann gewünscht, der ein guter Krieger ist«, seufzte sie.
Martin schaute sie verwirrt an. Was wollte sie damit sagen? Dass er nicht gut genug für sie wäre? Dass sie aber trotzdem ein Auge auf ihn geworfen hatte? Dabei waren sie doch nur Freunde. Etwas anderes als Freundschaft kam ja auch nicht in Frage. Sie war halb Mensch, halb Maschine, vollgestopft mit komplizierter Mechanik. Natürlich mochte er sie und vielleicht spürte er sogar eine gewisse Zuneigung. Aber Mann und Frau? Davon waren sie meilenweit entfernt. Doch wer wusste schon, was Frauen wirklich meinten? Er, Martin, bestimmt nicht. Das andere Geschlecht war ihm ein Buch mit sieben Siegeln. Das war schon auf der Erde so gewesen und hier auf Tiffany kamen noch die Vorstellungen und Regeln einer anderen Zivilisation hinzu.
»Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte sie. »Für dich bin ich ein Roboter, wie du die Mechanischen nennst.«
Martin wurde die Diskussion peinlich. Am liebsten hätte er einfach geschwiegen.
»Auf der Erde gibt es keine Hybride.« Doch dann dachte er an die Amputierten mit ihren künstlichen Gliedern. So ganz stimmte seine Behauptung auch wieder nicht. Zudem gab es künstliche Gelenke, eingepflanzte Insulinpumpen, Herzschrittmacher und Hörhilfen.
»Der Wind hatnachgelassen«, sagte er, darauf bedacht, das Thema zu wechseln. »Wenn es noch stürmen würde wie drüben, könnten wir nicht so ruhig hier sitzen.«
»Wir haben enormes Glück, Martin. Normalerweise weht auf der Eisebene ein heftiger Sturmwind. Oft noch stärker, als du ihn bisher erlebt hast. Das ist auch der Grund, wieso die meisten Luftschiffe in den Gräben bleiben. Wenn heute ein normaler Tag wäre, so wären wir niemals mit dem Gleiter so hoch hinauf gekommen, es hätte uns vorher zerrissen. Diese Windstille ist nicht normal und wir sollten uns darauf gefasst machen, dass sie morgen vorbei ist.«
FORT WATT
Es war genauso, wie Eliane gesagt hatte. Noch bevor die beiden Schwestern am Horizont auftauchten, war der Sturmwind zurück. Er zupfte heftig am umgekippten Gleiter und Martin beeilte sich, das Fluggerät auseinanderzunehmen. Dann setzte er die Einzelteile zu dem zusammen, was am Abend zuvor in seinem Kopf entstanden war: zu einem Schneesegler. Auch auf dieser Seite des
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