Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
Augenblick öffnete sich die Tür ohne ihr Zutun. Zwei haarlose Gestalten in hautenger weißer Kleidung erwarteten sie in einem kreisrunden und weiß getünchten Raum. Ob Männer oder Frauen, war aus ihren Gesichtern nicht eindeutig zu schließen.
Homunkuli, schoss es Martin durch den Kopf. Die beiden sahen sich ähnlich wie ein Ei dem anderen und unter der engen Kleidung, die sich wie eine zweite Haut über den ganzen Körper spannte, war jeder Muskel zu erkennen. Sie offenbarte aber auch, dass die beiden geschlechtslos waren. Als sie zu sprechen begannen, drangen ihre Wörter synchron aus beiden Mündern:
»Wir heißen Sie im Mechanikum herzlich willkommen. Bitte folgen Sie uns zur Empfangsstation.« Sie wandten sich um und marschierten durch eine weitere Tür.
»Ist das Mechanikum ein Museum?«, wollte Martin wissen. Doch seine Frage wurde nicht mehr von den beiden beantwortet, sondern von einer Lady in einem weißen Kleid, die sie hinter einem geschwungenen Pult erwartet, das in einem weiteren kreisrunden Raum stand.
»Herzlich willkommen im Mechanikum, Milady, Gentleman. Sie befinden sich nicht in einem Museum, sondern in einer der modernsten und ältesten biomechanischen Werkstätten von Tiffany.«
»Wunderbar!«, sagte Eliane. Ihre Augen glänzten.
Martin sah sie irritiert an. Erinnerte sie sich jetzt wieder daran, wo dieser Ort auf der Stadtkarte verzeichnet war?
»Wir sind zwar nur zufällig bei Ihnen gelandet, doch jetzt wo wir schon mal da sind, würden wir gerne mehr über Ihr Programm erfahren.«
Martin wunderte sich immer mehr. Was war bloß in Eliane gefahren? Doch dann keimte in ihm ein Verdacht.
»Einer unserer Biomechaniker wird Ihnen gerne unser Programm erläutern. Einen kleinen Augenblick bitte, ich habe ihn soeben verständigt.«
Beschäftigte sich die Biomechanik mit mechanischen Implantaten? Wurden hier aus normalen Menschen Hybride, wie Eliane eine war? Martin wagte nicht, diese Fragen laut auszusprechen. Wenn es so war, konnte er Elianes Begeisterung verstehen. Sie war sicher auch in einer biomechanischen Werkstätte ausgerüstet worden. Das war vermutlich ein prägendes Ereignis im Leben eines Menschen. Vielleicht gar eine Art zweiter Geburt. Doch wieso hatte sie nach dem Programm der Werkstätte gefragt? Wollte sie sich nochmals ausrüsten lassen, oder ging es um eine Reparatur oder Wartung ihrer Systeme? Aber noch ein anderer Gedanke beschäftigte ihn. Oben in der Stadt herrschte Krieg und hier unten schien alles seinen normalen Gang zu nehmen, als wäre die biomechanische Werkstätte davon unberührt. War sie vielleicht gar kein Teil der Stadt, sondern eine eigenständige Organisation?
Sein Grübeln wurde vom Erscheinen eines älteren Herrn mit weißem Rauschebart und grauem Overall unterbrochen. Martin starrte ihn an wie eine Geistererscheinung. Denn der Mann war nicht etwa durch eine Tür in den Raum gelangt, sondern einfach durch die Wand gekommen.
Der alte Biomechaniker musste sein Erstaunen bemerkt haben, denn er sagte:
»Raumillusion, die Empfangsstation besitzt keine festen Wände. Tut mir leid, Sie erschreckt zu haben. Milady, Gentleman, herzlich Willkommen bei uns. Wenn Sie mir bitte folgen würden.« Er schritt geradewegs auf die Wand zu und verschwand wieder darin. Eliane folgte ihm ohne zu zögern.
Martin wandte sich nochmals an die Empfangsdame:
»Milady, oben in der Stadt wird gekämpft. Hoffentlich wird das Institut nicht in Mitleidenschaft gezogen?«
»Machen Sie sich keine Sorgen, mein Herr. Ins Mechanikum gelangen keine unerwünschten Personen. Wir sind gut darüber unterrichtet, was in Victoria geschieht, und unser Wachdienst ist auf alles vorbereitet.«
»Das waren die Stadtwächter offenbar nicht. Sogar die Stadtverwalterin wurde überfallen.«
»Ja, ich weiß, ein bedauerlicher Vorfall. Aber hier im Mechanikum sind Sie absolut sicher, Herr Dampfbusch. Ich würde vorschlagen, Sie folgen jetzt Lady Eliane und Doktor Dampfeisen.«
Martin staunte. Woher wusste die Dame am Empfang ihre Namen?
»Sie kennen unsere Namen? Dabei haben wir uns doch noch gar nicht vorgestellt.«
»Wir wissen alles über Sie, sonst wären Sie nie hierher gelangt. Wir wissen zum Beispiel, dass sich in Ihrem Rucksack ein Roter Handschuh befindet und Lady Eliane unter anderem einen Nagler, drei Granaten, zwei Messer und ein halbes Dutzend Wurfsterne auf sich trägt.«
Martin wurde bleich.
»Wenn Sie dies alles wissen, wieso haben Sie uns dann die Waffen nicht
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