Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
an:
»Halt die Klappe!« Ihre Augen sagten zwar etwas anderes, doch Martin verstand nicht, darin zu lesen.
»Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist«, sagte er. »Ich hatte Angst um dich.«
Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht und musterte ihn.
»Stimmt das? Du hast dir Sorgen um mich gemacht?«
»Ja, natürlich. Ich dachte, du würdest zerschmettert neben den Gleisen liegen.«
Sie dachte einen kurzen Moment nach und fragte dann: »Und? Was hättest du gemacht?«
»Ich weiß nicht, außer dir und meiner Stiefmutter Isabelle kenne ich niemanden in dieser seltsamen Welt.«
Irgendetwas war an dieser Antwort falsch gewesen, das spürte er, und so fügte er noch hinzu: »Ich mag dich, obschon du mich behandelst wie einen …«
»… wie einen Tölpel?«
»Ja, so ähnlich. Vielleicht solltest du mich nicht im Ungewissen lassen und mir wenigstens sagen, wohin wir unterwegs sind und wieso. Ich bin ja nicht ganz freiwillig hier. Streng gesehen, hast du mich sogar entführt, und ich habe keine Ahnung warum.«
Sie setzte sich neben ihn und legte ihm ihre Hand auf den Unterarm. Es war eine freundschaftliche Geste, fand er, und in Anbetracht ihres speziellen Charakters vielleicht sogar ein Zeichen von Zuneigung. Am Rande bemerkte er bei dieser Gelegenheit, dass die Wunde an ihrer Schulter beinahe verheilt war. Aber er bekam keine Zeit, über dieses Phänomen nachzudenken.
»Wir befinden uns vor einer Zeitenwende«, erklärte sie. »Die Mechanischen haben sich gegen die Menschen erhoben und vertreiben sie. Die Überfälle der Piraten aus den eisigen Ebenen haben stark zugenommen, wir stecken in der Klemme. Ich als Hybride sowieso. Die Mechanischen hassen mich mehr als alle Menschen und die reinen Menschen akzeptieren mich oft nicht als ihresgleichen.«
»Aber du bist doch ein Mensch?«
»Das scheint dir so, aber ein Teil von mir ist mechanischer Natur. In einem Drittel meiner Adern fließt nicht Blut, sondern Öl und Essen kann ich so ziemlich alles, sogar Karbonfluxer, wenn es sein muss.«
»Aber deine Haut … deine Verletzung, so wie du sprichst und gehst …« Bei diesen Worten erinnerte er sich daran, dass er sie hatte hinken sehen. »Ist dein Fuß verletzt?«
»Das hast du bemerkt? Ja, er ist defekt. Ein mechanisches Problem. Vermutlich eine lahme Feder.«
Erst jetzt wurde Martin so richtig bewusst, was sie mit dem Ausdruck Hybride meinte. Eliane war eine Mischung zwischen Mensch und Maschine, sie war ein halber Roboter. Unwillkürlich rutschte er ein Stück zur Seite.
»Ich könnte mal nachsehen und … es vielleicht reparieren. Ich bin ziemlich geschickt was technische Dinge anbelangt.«
»Es ist nicht dringend, wir haben wichtigere Probleme. Mit dieser angeschlagenen 411er, ohne genügend Brennstoff und Wasser, werden wir kaum bis nach Stonehenge kommen. Und dorthin müssen wir, wenn wir nach Orb wollen.«
»Gibt es denn keinen anderen Weg dorthin als über diese unterirdischen Gleise?«
»Der andere Weg führt durch die Luft, aber dazu fehlt uns ein Luftschiff.«
»Wieso wollen wir überhaupt nach Orb, was hat dieser Ort Besonderes?
»Orb ist die Hauptstadt, dort entscheidet sich das Schicksal der Welt und dort haben wir eine Chance, dem Chaos der Rebellion zu entkommen. Aber es soll dort auch eine Möglichkeit geben, durch ein Tor in andere Welten zu gelangen. Ich denke, das wird dich interessieren. Du möchtest doch sicher zurück in deine Welt. Oder etwa nicht?«
Ja, dachte Martin, wenn es eine Möglichkeit gab, zurückzukehren, so wollte er sie nutzen. Aber er hatte kein Tor gebraucht, um in diese seltsame Welt zu gelangen. Ein kurzes Einnicken vor dem Mittagessen hatte genügt. Ob solche Transfers häufig geschahen? War das vielleicht des Rätsels Lösung in den Fällen, in denen Menschen auf unerklärliche Weise verschwanden?
»Ich bin durch kein Tor gekommen«, sagte er.
»Ich weiß, doch der Weg zurück ist nicht so einfach wie der hierher.«
Unvermittelt glitt sie wieder unter die Bettdecke und drehte sich um.
»Ich bin müde«, sagte sie, »ich möchte jetzt schlafen.«
Überrascht von dieser abrupten Wendung, ging Martin zu seinem Bett zurück und legte sich auf den Rücken. Eliane war wohl mehr Mensch als Maschine, sonst würde sie keinen Schlaf benötigen, überlegte er.
Er lag noch eine Weile wach. In den vergangenen Stunden war zu viel geschehen, um einfach einschlafen zu können. Er ließ nochmals die Erlebnisse vor seinem inneren Auge Revue
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