Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
ich kein Ende gesehen«, stellte er fest. Er drückte vorsichtig gegen die Metalltür der untersten Etage. Sie gab erstaunlich leicht nach und Martin lugte durch den Spalt. Im Gegensatz zu allen anderen Stockwerken, war dieses hier beleuchtet. Sogar ausgezeichnet, stellte er fest. Er sah jede Einzelheit und bei dem was er sah, stockte ihm der Atem.
Die Tür führte auf einen Balkon, von dem man die Halle überblicken konnte. Sie war so groß wie ein Fußballstadion. Doch hier fanden keine Spiele statt. Sie diente einem ganz anderen Zweck. Mehrere Reihen großer Treträder drehte sich in Lagerböcken. Sie waren über Zahnräder und Antriebsketten mit einem Generator verbunden, der mitten in der Halle stand. Martin hatte noch nie einen solch großen Generator gesehen, auch nicht bei der Kraftwerksbesichtigung, die er in der neunten Klasse in der Schule mitgemacht hatte. Diese Maschine war so groß wie ein Haus. Sie war auch die Quelle des lauten Summens, das die Luft erfüllte.
»Also doch die Stromversorgung«, murmelte er. »Wie ich das vermutet habe. Irgendwoher muss der Saft ja kommen.« Doch als er sah, wer in den Treträdern arbeitete«, stockte sein Selbstgespräch. Es waren Menschen und sie sahen schrecklich aus. Abgemagert in zerlumpten Kleidern, manche mit offenen Geschwüren. Männer und Frauen waren hier am strampeln. Und das sicher nicht freiwillig, wie zu sehen war. Martin war entsetzt. Diese Welt, die ihm zuerst voll interessanter technischer Spielereien erschienen war, als Studienobjekt sozusagen, zeigte hier im untersten Geschoss von Stahldorf ihr hässlichstes Gesicht. Ob es sich dabei alles um Schuldsklaven handelte? Und wieso trieben keine Dampfmaschinen den Generator an? Fehlte es an Ressourcen?
Martin bemerkte eine Bewegung zwischen den Treträdern. Es war ein Mechanischer. Ein Modell wie der Schokoladenverkäufer oben im Geschäft. War er ein Aufseher? Mussten die Menschen für die Mechanischen schuften?
Ein beunruhigender Gedanke schlich sich in Martins Überlegungen. Gab es noch einen anderen Zugang zu dieser Halle oder war der, durch den er gekommen war, der einzige? Wenn das so war, so wäre er in höchster Gefahr.
UND IM JENSEITS VIEL DAMPF
»Tod oder Leben«, hörte er da hinter sich. »Und im Jenseits viel Dampf.« Martin fuhr erschrocken herum und starrte geradewegs in die drei Augenpaare eines Schremp, der sich vor ihm aufgebaut hatte. Gleichzeitig spürte er einen dumpfen Druck im Kopf und ihm wurde leicht schwindlig.
»Komm mit!«, befahl der Schremp und deutete mit seiner Klauenhand in Richtung der rechten Balkonbrüstung. Dort führte eine metallene, eng gewundene Treppe in die Halle hinunter. Martins Gedanken rasten. Was sollte er tun? Welche Chancen hatte er zu entrinnen?
»Komm mit!«, wiederholte der Schremp und der Druck in Martins Kopf wurde stärker. Er musste mitspielen, dachte er, der Schremp sollte glauben, er habe ihn unter Kontrolle. Das verschaffte ihm Zeit, die Situation zu analysieren und nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau zu halten. Er folgte dem Schremp auf die Wendeltreppe. Der Druck in seinem Kopf war konstant, aber er konnte sich gut dagegen wehren. Doch die Schremp waren praktisch unangreifbar, sie waren so schnell, dass sie sich jedem Angriff entziehen konnten, wie ihm Eliane gesagt hatte. Somit fiel die Möglichkeit aus, direkt gegen den Sechsäugigen vorzugehen. Er musste einen anderen Weg finden, seinen Widersacher auszutricksen. Hoffentlich war Eliane nicht auch von einem Schremp gefasst worden. Sie hatte keine Möglichkeit, sich gegen den hypnotischen Bann zu wehren.
Als sie am Boden der Halle angekommen waren, wartete schon ein Mechanischer auf sie. Er richtete seine Optik auf Martin und fragte:
»Wo kommt der her? Aus einem Zug von Stonehenge oder wie der fliegende Händler durch den Kamin?«
»Weiß ich nicht, er war drüben im alten Treppenhaus.«
»Er kommt gerade zur rechten Zeit. Rad Fünfzehn hat einen Ausfall.«
Martins Gedanken schlugen Purzelbäume. Wenn er sich in eines der Treträder sperren ließ, wäre ihm die Flucht verbaut. Soweit durfte es nicht kommen. Doch jetzt hatte er nicht nur einen Schremp als Gegner, sondern auch noch einen Mechanischen.
»Er kommt nicht ins Rad. Er ist Proviant«, sagte der Schremp.
»Das kommt nicht in Frage«, der Mechanische winkte ab. »Ihr Blutsauger habt unseren Bestand schon genug dezimiert. Wir brauchen jede Arbeitskraft. Und dieser hier ist noch frisch und kräftig. Du
Weitere Kostenlose Bücher