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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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der
    Außenwelt oder im Umgang mit ihr. Und selbst in seiner Imagination überwiegen Elemente, Objekte und Tiere und nicht menschliche Wesen. Treten andere Personen (im Zitat ausgelassene) auf, erscheinen sie vage, fremd, halbmythisch und haben praktisch keinen Zusammenhang mit dem Traumgeschehen, ausgenommen am Schluß bei der Erdolchung der Mumie. Von nachträglichem Zorn und Schuldgefühlen abgesehen, fehlt in diesem Fall jede zwischenmenschliche Beziehung, wohingegen bei einer gelungenen visionären Erfahrung intensive Liebes-, Schönheits- und Glücksgefühle empfunden werden.
    Damals besaß ich in der Anwendung von Ibogain noch nicht die
    genügende Erfahrung, um selbst initiativ zu werden und den
    Patienten zur Beziehungsherstellung zu ermutigen, um die
    (vermutlich) gemiedenen psychopathologischen Probleme ans
    Licht zu bringen. Später habe ich das jedoch stets in der Praxis
    getan, und meiner Ansicht nach kann die Aufdeckung des
    Konflikts nicht nur einen dauernden Wandel herbeiführen,
    sondern braucht auch in keiner Weise von der visionären Erfahrung abzulenken.
    Im nächsten Beispiel werden wir sehen, wie ein Zustand subjektiven Glücksgefühls und relativer Integration durch Ablenkung der Aufmerksamkeit - auf eine Konfliktsituation - unterbrochen werden kann; der Patient wird mit schmerzlichen Erlebnissen konfrontiert, was noch nachdrücklicher fortgesetzt wird, nachdem das Problem erfolgreich ausgelebt wurde.
    Es entstammt der Niederschrift einer dreiundzwanzigjährigen
    Frau von anscheinend mildem, verhaltenem, aber unselbständigem Wesen, die mich einesteils auf Wunsch ihres Mannes, zum anderen in der eigenen Hoffnung konsultierte, ihre Gefühle
    193

    und Gedanken besser äußern zu lernen. Es war ihr bewußt
    geworden, daß ihre ehelichen Nöte zum Teil ihren Kommunikationsschwierigkeiten zuzuschreiben waren. Gesprächen mit ihrem Ehemann konnte ich entnehmen, daß ihr Zusammenleben eine Quelle ständiger Frustration gewesen sein mußte. Dies ließ sie auch in zwei Gesprächen, die der Ibogain-Sitzung vorausgingen, durchblicken - nicht aus Mangel an Aufrichtigkeit sondern, wie mir schien, in mangelndem Bewußtsein für ihre
    Empfindungen.
    Etwa in der dritten Stunde der Sitzung gelangte sie in den
    angenehmen Zustand des völligen Aufgehens in einer imagi-
    nierten Welt:
    »Es schneite. Es war kein gewöhnlicher Schnee. Die Schneeflocken waren weit größer, so daß man ihre Kristalle sah. Sie bestanden aus sehr feinen Fasern, mit unregelmäßigen Rändern, und waren mit unzähligen Diamanten bedeckt. Sie tanzten im Spiel. Inmitten dieses Schneefestes sah ich mich
    selbst, nackt, eine schöne junge Frau mit weißer Haut und
    langem blondem Haar. Ich tanzte mit den Schneeflocken
    sozusagen um die Wette. Lachend rannte ich hinter ihnen
    her, versuchte sie zu fangen, und wenn es mir gelang, preßte
    ich sie an mein Gesicht. Alles war überflutet mit goldenem
    Licht. Ich empfand ein Gefühl unendlicher Freiheit und
    Freude. Tiefer Friede umfing mich.«
    Dies Beispiel visionärer Erfahrung im Symbolbereich visueller
    Imagination mag hier genügen. Das dominante Gefühl wie
    auch der Impulsgehalt wird (wie bei mit Ibogain herbeigeführter visionärer Erfahrung häufig) durch die Bilder von Tanz und Licht vermittelt. Die Patientin erkannte, daß sie es war, die dort
    tanzte, und genoß es, so voller Leben, so schön und so frei zu
    sein. Dann empfand sie den Drang, selbst zu tanzen und nicht
    lediglich den inneren Bildern zuzusehen. Doch bezeichnenderweise war sie dazu nicht fähig. Es wurde ihr schlecht, und sie legte sich wieder hin.
    Aus meinen Erfahrungen mit der Droge meine ich, daß sie sich
    im Bereich der Aktion vornehmlich der körperlichen Bewegung auswirkt. Ein Großteil der Bilder (Tanz. Trommelschlag) läßt diesen Schluß zu, aber auch Drogenerfahrungen, die mir
    höchst ergiebig zu sein schienen, schlossen eine regelrechte
    körperliche Partizipation mit ein. (Hier wäre zu erwähnen, daß
    in Gabon die Tänzer vor dem Tanz Iboga-Wurzel genießen.)
    Jedoch legt die rein visuelle Qualität der geschilderten Drogen194

    erfahrung sowie das plötzliche Unwohlsein, das sich einstellte,
    als sie versuchte, auch in Wirklichkeit zu tanzen, nahe, von
    einer »verkapselten« visionären Erfahrung zu sprechen, weil
    sie sich nur in einem einzigen Bereich auswirkt und nur durch
    Meidung bestimmter Empfindungen, Themen oder Bewußtseinsbereiche ertragen werden konnte. Das soll nicht heißen, daß

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