Die Reise zum Ich
diese Art der Erfahrung wertlos sei - im Gegenteil: Solches
Ausweichen kann strategisch zur Herbeiführung visionärer Erfahrung genutzt werden, und zwar mit Hilfe bestimmter Meditationstechniken, die auf Bewegungslosigkeit und Stille des Denkens abzielen. Ist jedoch erst einmal diese höhere Stufe der
Empfindungen und Erkenntnisse erreicht, kommt es darauf an,
sie wieder auf die Erde zu holen und ins Handeln und Leben zu
übertragen, wobei die Bewältigung des Schrittes zum einfachen
Körperbewußtsein und zu den Körperfunktionen ein kritischer
Punkt im Prozeß zu sein scheint. Mit Hilfe der Ibogain-Thera-
pie habe ich mehrfach den Übergang in einen höheren Zustand
der Integration, begleitet von einem »Erinnern« an den Körper
und an seine Empfindungen, im Anschluß an eine Periode
völligen Aufgehens im Traum oder an einen plötzlichen Durchbruch über die Bewegungskanäle erreicht. Und auch dieser Fall war keine Ausnahme. In der Vermutung, daß die Unvollkommenheit der Erfahrung dieser Patientin mit der Zurückhaltung ihrer Gefühle ihrem Mann gegenüber in Zusammenhang standen, forderte ich sie auf, einen Traum mit mir durchzuarbeiten, den sie allerdings am Tage zuvor gehabt hatte. Ich gebe hier die
Niederschrift der Patientin wieder:
»Ich tanzte mit einem gutaussehenden kräftigen Mann. Da
sah ich, wie sich mein Mann in einen schlaffen, dicken Mann
mit hängenden roten Backen verwandelte und weibisch dabei lachte. Ich verließ den Traum, um zu beschreiben, daß ich mich bei diesem entsetzlichen Anblick abwandte und mit
meinem Partner in den Nebenraum ging. Wir tanzten miteinander, und später begleitete er mich nach Haus. An der Tür sagten wir uns Lebewohl. Als ich das Wohnzimmer betrat,
fand ich meinen Mann vor, der noch genau so häßlich aussah
wie zuvor. Zuerst schloß ich mich in mein Zimmer ein, doch
der Arzt wies mich an, ihm die Stirn zu bieten, und ich
erzählte ihm, wie häßlich und schwächlich ich ihn fand.
Plötzlich entdeckte ich mich dabei, daß ich ein Kissen aufklopfte. Das Kissen war mein Mann. Meine Hand flog nur so!
Was für ein Vergnügen ich dabei empfand, ihn zu schlagen!
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Ich schrie ihn an, beschimpfte ihn und sagte ihm, wenn er sich
nicht ändere, wolle ich ihn lieber nicht mehr sehen.
Welche Erleichterung ich nach dem Schreien empfand! Ich
fühlte mich so frei danach. Ich war glücklich, weil ich wußte,
daß ich das Recht hatte, mich zu verteidigen, denn ich selbst
war auch etwas wert. Ich brauchte mich nicht, wie bisher auf
jemanden anders zu verlassen. Es war entsetzlich, vor anderen zu kriechen. (Ich imitierte dieses Kriechen mit den Händen.) Ich war nicht unbrauchbar, ich hatte so viel Kraft, und das Leben kam mir nicht mehr lächerlich vor: Es war ein
Geschenk! (Ich dankte dem Arzt, daß er mir das zuvor gesagt
hatte. Er reichte mir einen Spiegel.) Ich erblickte mich selbst
und sah, daß ich schön war und noch fast ein Kind. [Sie hatte
sich zu Anfang der Sitzung alt und häßlich gesehen.] Ich war
soeben erblüht, für die Welt, mit strahlendem Blick und
frischer Haut. Der verächtliche Zug um meinen Mund war
verschwunden. Mein Körper war beweglich und voller Leben. Zum ersten Mal liebte ich mich selbst .«
Es sollte erwähnt werden, daß sie sich fast der gleichen Worte
bediente wie vorher, als sie ihr Selbstbild beschrieb: schön,
jung, frisch, voller Leben. Doch um diese Eigenschaften in
Fleisch und Blut oder im Spiegel zu sehen, bedurfte es mehr als
der Kontemplation ihrer essentiellen Natur. Es bedeutete das
»Eingehen« in ihren Leib, das Präsentsein bei ihrem Handeln,
und dies wiederum bedeutete, daß sie den Mut haben mußte,
die Sklaverei durch das Diktat eines unterwürfigen Persönlichkeitsmodells abzuschütteln, nach dem sie sich ihr leibliches Leben lang ausgerichtet hatte.
Ihre Veränderung konnte ihrem Mann und ihren nahen Freunden nicht entgehen, und selbst noch nach einem Jahr beschrieb eine ihrer Bekannten es mit den gleichen Worten: »Seit der
Behandlung ist sie wie aufgeblüht«. In ihrer Ehe übte sie Geduld, solange es notwendig war, - bis zur Kurierung ihres Mannes im Jahr darauf - doch nicht jene selbstverleugnende
erzwingende
»Geduld«
der
Nicht-Kommunikation,
sondern
eine, die auf Selbstakzeptierung und verständnisvoller Liebe
beruhte.
Alle drei der geschilderten Sitzungen haben etwas gemeinsam,
das man als ungewöhnlich spontanen »Selbst«-Ausdruck bezeichnen darf, der sich in Form
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