Die Reise zum Ich
von Handlungen, Tanz, Empfindungen, Wahrnehmungen oder Urteilen kundtat. Mit dieser 196
Feststellung halte ich mich eng an die Beschreibung der Erfahrungen dieser Personen und ihrer eigenen Anwendung des Wortes »Selbst« und verzichte auf Spekulationen darüber, was
unter diesem Selbst (oder dem Urheber solcher Erfahrung) zu
verstehen ist. Schon der Analysand unseres ersten Beispiels
betonte, er habe die Bilder oder Personen mit eigenen Augen
gesehen, und realisierte, daß nicht er es war, der im Alltag
Dinge und Personen automatisch wahrnahm oder sich automatisch seines Körpers bediente. Auch unser zweiter Analysand verblieb unter dem Eindruck der Wahrnehmung einer eigenen
Welt sowie »der Gewißheit, daß die Welt als Ganzes, deren Teil
aber auch Beobachter ich bin, experientiell in mir ist und nicht
etwas räumlich Getrenntes«. Und auch die Frau aus dem dritten Beispiel meinte, in dem schönen Mädchen, das im Schneefall tanzte, das Bild ihres wahren Selbst zu sehen. Und sie staunte: über »die Fülle des Lebens in mir«, und liebte sich
selbst - mit einem natürlichen Selbstwertgefühl und nicht mit
der üblichen Eigenliebe, bei der sich der Mensch in seiner
Einbildung ständig vor einem Publikum bewegt.
Im Gegensatz zu diesen Fällen relativ spontaner Entfaltung des
Selbst - als einem psychischen Gravitationszentrum, in dem
sich das Individuum als Einheit empfindet und nicht mehr als
Kampfplatz sich widerstreitender Triebe - kommt es oft vor,
daß der Arzt den Patienten während der Sitzung zum Selbstausdruck erst animieren muß oder daß Selbstausdruck buchstäblich unmöglich ist, ehe nicht die divergierenden Aspekte der Persönlichkeit miteinander in Einklang gebracht werden.
Es gibt zwei nützliche Kunstgriffe, mit denen man einem Menschen zum Selbstausdruck verhelfen kann, die auch bei umfangreicheren Prozeduren dienlich sein können: Der eine besteht darin, den Patienten mit potentiell signifikanten Fotografien zu konfrontieren, der andere, Träume und Traumfolgen zu provozieren. In beiden Situationen unterscheidet sieh das Ibogain in seinem Potential von anderen Drogen. Verwendet man LSD-ähnliche Halluzinogene, sieht der Patient die Fotos entweder verzerrt, wobei die Entstellungen über die Projektionen des Individuums auf die dargestellte Person Aufschluß geben.
Oder aber der während der visionären Erfahrung erreichte
Bewußtseinszustand kann die Beziehung des Patienten zu der
kontemplierten Person verändern (zum Beispiel: »Zum ersten
Mal sah ich das wahre Wesen meiner Mutter, und nun liebe ich
sie, mit ihrem schwierigen Charakter. So wie sie für ihre körper197
liche Beschaffenheit nichts dafür konnte, vermochte sie auch
gegen ihre psychische Veranlagung nichts auszurichten, die mir
so geschadet und mir so weh getan hat. Aber was ich jetzt sah,
war wirklich nicht sie«).
Wendet man MMDA an, verliert die Betrachtung äußerer Objekte angesichts widersprüchlicher Verfassungen, bei denen körperliche Empfindungen, Imaginationen oder intensive Gefühle dominieren und das Jetzt allumfassende Bedeutung gewinnt, an Interesse. Dennoch gereichen in der visionären Erfahrung durch MMDA sämtliche Stimuli dem Patienten zum Vorteil, als Teil des Jetzt, und fördern bei der Betrachtung von
Fotos auch die Möglichkeit, in neue, dem momentanen seelischen Zustand entsprechende Beziehungen zu anderen Personen zu treten. Der Unterschied zwischen LSD und MMDA besteht hier in der realistischeren Wahrnehmung der anderen
Person, sowohl was die projektiven Elemente (Wahrnehmung
ohne Entstellungen) als auch die Vermeidung oder Umgehung
ihrer durch die Umstände bedingten Realität betrifft.
Bei Anwendung von Ibogain läßt sich die Situation eher mit der
unter MMDA vergleichen, das ja, wie wir sahen, vermehrte
Einsicht und emotionale Reaktionen hervorruft und gelegentlich auch durch das Wiedererleben von Kindheitsereignissen Aufschlüsse vermittelt. Ich habe festgestellt, daß unter Wirkung von Ibogain das direktive Vorgehen lieber hingenommen wird, was dem Therapeuten die Manipulierung apperzeptiver
Phantome ermöglicht, und zwar immer dann, wenn die
Drogenerfahrung nicht jene Sicht auf das demaskierte Selbst
eröffnet, die auch das Selbst andrer hinter der Maske zu erkennen vermag.
Welche Möglichkeiten Ibogain für das Imaginieren und Träumen bietet, läßt sich aus der folgenden detaillierteren Schilderung ersehen.
Mein eigener Bericht setzt in dem Augenblick ein, in
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