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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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dem ich
    dem Patienten, einem Künstler, sechsunddreißig Jahre alt, vorschlage, einen Traum mit mir durchzuarbeiten, den er mir schon eine Woche zuvor erzählt hatte: Er saß im Hause seiner
    Eltern an einem Tisch und hatte das Gefühl, daß sie - hinter
    ihm - im Zimmer zugegen waren. Ihm war, als sei ihm etwas
    zwischen den Zähnen hängen geblieben, und er versuchte, es zu
    entfernen. Zuerst sah es aus wie weiße Fäden, doch verwandelten sie sich allmählich in kleine grünliche Wesen. In diesem Augenblick wachte er entsetzt auf.
    198

    Jetzt, in der Sitzung, versucht er, sich den Traum noch einmal zu
    vergegenwärtigen. Dabei stellt sich heraus, daß der Traum nach
    dem Herausziehen der faserigen gelatineartigen Fäden zu Ende
    war. Dennoch wird er das Gefühl nicht los, als ob noch mehr ans
    Licht kommen müßte. Jetzt weise ich ihn an, sich selbst in diese
    Fäden zu verwandeln und den Traum aus dieser Perspektive
    noch einmal zu träumen. Dabei wird aus ihm ein weißer Wurm
    mit dunkler Behaarung; Der Wurm verwandelt sich dann wieder in einen Faden, halb ist er weiß, halb grün, dem große Füße wachsen und der sich zu einem kleinen grünlichen Nagetier
    entwickelt.
    Von diesem Augenblick an nimmt er wieder die gleichen Bilder
    wahr, meint aber, sich nicht mit ihnen identifizieren zu können.
    Aus dem Nagetier wird jetzt erst eine Ente mit langem Schnabel, dann ein Reiher. »Seien Sie dieser Reiher«, mische ich mich ein. »Fühlen Sie, was erfühlt.«
    »Ich gehe in den Vogel hinein«, meldet er. »Ich sehe Flügel
    zu Seiten des Kopfes, der nun der meine wird; ich beginne
    über das weite ruhige Meer zu fliegen. Der Himmel ist wolkenlos, von reinem Blau, und die Sonne wirft am Horizont entlang ein weißes Licht.«
    Diese traumartige Sequenz dauert noch an. Er geht durch die
    Sonne hindurch und trifft jenseits auf einen riesigen weißen
    Raum. An diesem Punkt schlage ich vor, zum ursprünglichen
    Traum zurückzukehren.
    Wiederum holt er sich Fäden aus den Zähnen. Als sie grün
    werden, beginnt eine weiße Flüssigkeit aus seinem Mund zu
    strömen und schwemmt die kleinen Tiere fort. Er ist überrascht, daß es nur wenige sind und daß sie harmlos zu sein scheinen; er meint, daß es noch mehr sein müßten.
    Jetzt öffnet der Patient den Mund, weiter und weiter, richtet
    sich allmählich immer mehr auf und streckt Arme und Hände
    aus. als wolle er etwas umschließen. Hierüber schreibt er später
    Folgendes:
    »Die hervorstürzende Flüssigkeit macht die Hand naß, mit
    der ich die kleinen Wesen aus meinem Mund herauszuholen
    versuche. Nun strecke ich die Hand aus, sie wird aber immer
    noch naß. Die Flüssigkeit wird weißer und strömt immer
    üppiger. Ich richte mich auf und öffne meinen Mund, weiter
    und weiter. Die milchige Sturzflut hat enorme Kraft und
    einen starken Druck. Ich halte meine Hände hinein, um sie
    zu waschen.«
    199

    Da er bereits im Zustand der Drogentrance von dieser Waschung gesprochen hatte, stellt sich bei mir die assoziative Verbindung zu der Sage von Reinigung des Augiasstalls durch Herkules mit den Wassern des Alphios und Peneios ein, weil sie
    symbolisch den gleichen Prozeß beinhalten mag.
    »Jetzt wollen wir den Jakob waschen«, forderte ich ihn auf. In
    diesem Moment erblickte er einen nackten Leib, dessen Kopf
    er aber nicht sehen konnte. Er spie den Strom milchiger Flüssigkeit gegen diese Gestalt; der Strom durchdrang sie und wusch Brustkorb und Unterleib rein. Als er den Strom dorthin richtete, wo der Kopf sein mußte, entdeckte er zu seiner Überraschung nicht den eigenen Kopf, sondern den seiner Mutter.
    Kurz, es stellte sich heraus, daß dieses Gesicht eine Maske war,
    die er entfernen mußte, um das wahre Gesicht seiner Mutter
    erblicken zu können. Während er die Waschung fortsetzte,
    öffnete seine Mutter die Augen und erhob sich von der Erde
    und schwebte höher und höher in einen leuchtenden Raum
    hinauf. »Dies kam mir sehr seltsam vor, da ich nicht an einen
    Himmel glaube, in den man aufsteigen kann«, schrieb der Patient später.
    In diesem Augenblick seiner visionären Erfahrung bemerkte er
    zwischen dem Bereich, in dem sich seine Mutter befand, und
    der Erde, auf der er stand, eine schräge, transparente bräunlich-gelbe Ebene, die ihm mit viszeralem Leben erfüllt schien und sich langsam in eine Himmelskugel verwandelte. Auf ihrer
    oberen Rundung bildete sich ein Thron heraus, auf dem der
    Besitzer der Erde saß. Er war von dominierendem Wesen.

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