Die Reise zum Ich
weinte. Ich weine auch jetzt
noch und jedes Mal, wenn ich mich daran erinnere. Ich ziehe
mich in mich selbst zurück, um daran zu denken und zu
weinen.
Wieder im Nichts. Ich fühle die Fülle in der Entspannung,
wie nach einem großen Schmerz. Ich bin wieder auf dem
Boden und höre die schnellen Rhythmen der Radiomusik.
Jetzt ist es mein Leib, der reagiert, nicht meine Seele oder
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mein Geist. Ich fühle, daß ich ein Hündchen bin. Ich bin von
anderen Hündchen umgeben und spiele mit ihnen. Ich höre
ihr drolliges Bellen. Dann glaube ich, ich bin eine Katze ...
nein! Ich bin ein Pony! Ich galoppiere. Nun bin ich so etwas
wie ein Tiger . . . wie . . . Ich bin ein Panther! Ein schwarzer
Panther! Ich verteidige mich, ich richte mich auf. Ich
schnaufe mächtig, mit dem Atem eines Panthers, Raubtieratem! Ich bewege mich wie ein Panther, meine Augen sind die eines Panthers, ich sehe die Haare meines Schnurrbarts.
Ich brülle und ich beiße. Ich reagiere wie ein Panther: Angriff
ist die beste Verteidigung.
Jetzt höre ich Trommeln. Ich tanze. Meine Gelenke sind
Verzahnungen, Scharniere, Naben. Ich kann ein Knie sein,
ein Bolzen, kann irgend etwas, ja fast alles. Und kann mich
wieder verlieren in diesem Chaos des Nichtseins und der
Wahrnehmung
vager,
abstrakter
Ideen
sich
wandelnder
Form, wo es eine Eingebung der Wahrheit aller Dinge und
eine Ordnung gibt, die zu entdecken man sich erst anschickt.«
Und gegen Ende der Sitzung, vier Stunden später:
»Wieder Nichtheit, Müdigkeit. Ich knie auf dem Boden,
meine Hände auf dem Läufer, lasse den Kopf hängen. Ich
fühle die Welle zurückkommen, Schwindel ergreift mich. Ich
presse mich gegen den Boden ... Ich bin auf einem Deckel
... ein großes Rad, das zugleich ein Deckel ist, den ich
öffnen muß! Ich mühe mich bis an die Grenzen meiner Kraft,
um es zu drehen, greife in die Speichen. Der Deckel dreht
sich. Plötzlich befinde ich mich unter ihm, auf einem großen
Rad mit Speichen und Zwischenräumen. Es hat in der Mitte
eine dicke Achse, die es mit dem Deckel zu verbinden scheint
und unter dem Rad, auf dem ich jetzt sitze, noch weiter geht.
Wie bin ich hier heruntergefallen? Ich kann es mir nicht
erklären. Ich merkte es nicht, als ich fiel. . . Hier muß ich
heraus . . . Muß raus! Nach oben ist es unmöglich. Es kann
nur nach unten. Jenseits der Stangen herrscht tiefe Finsternis. Vielleicht werde ich jene Röhre der Leerheit herunterfallen ... Es macht nichts ... Ich muß hier raus, fort von diesem Rad, das in diesem Tunnel ohne Wände hängt. Vielleicht mit Hilfe des Mechanismus der Achse ... Ich weiß, daß sich dieses Rad nach oben oder nach unten verschieben
läßt. Verzweifelt taste ich den Mechanismus ab. Ich höre den
Arzt zu mir sagen: ›Seien Sie selbst die Achse!« Überra-
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schung. Ich beginne mich wie eine Achse zu fühlen. Stählern,
hart, drehe mich, drehe mich, drehe mich mit Geräusch. Ich
bin die Achse, Stunde um Stunde . . .Ich hab keine Zeit
mehr, eine Achse zu sein. Ich drehe mich mit Geräusch. Ich
drehe mich, drehe mich, drehe . . .Ich spüre, daß ich meine
drehende Achse rechts anhebe, langsam steige ich an die
Grenzen der Dehnbarkeit - immer noch Achse. Dann greift
meine Hand nach vorn. Ich habe einen Dolch in der Hand
und will töten! Ich werde töten! Ich tue einen Schritt vorwärts
um zu töten. Ich bin im Begriff, eine . . .eine. . .eine. . .
Mumie zu töten! Wie entsetzlich das ist! Es ist der mumifizierte Leichnam einer Frau, vertrocknet, mit einer braunen ledrigen Haut, und sie hat eine Binde über den Augen! Und
sie lächelt, zugleich grausig und süß, als hätte sie liebliche
Träume oder lausche ironisch, was vor sich geht. Zweimal
stoße ich den Dolch tief in sie hinein. Es fühlt sich an als ob
Leder zerreißt. Ich komme mir gemein vor, verrückt. . .«
Diese Ausschnitte dürften genügen, um ein paar typische Ibo-
gain-Motive zu verdeutlichen: Licht (vornehmlich weißes und
blaues), Tiere (speziell Raubtiere), rotierende Bewegungen,
kreisrunde Formen sowie auch die Röhre. Diese scheint sich in
unserem Beispiel mit Dunkelheit, Abwärtsbewegung und dem
Eingeschlossensein zu einem Komplex zu verbinden, der in
polarem Gegensatz steht zu jenem weißen Lichtstrahl und dem
zu Anfang empfundenen Freiheitsgefühl. Später werde ich in
diesem Kapitel noch eingehender darstellen, inwiefern das
Sinnbild der Röhre in Ibogai'n-Sitzungen eine wichtige Rolle
spielt,
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