Die Reise zum Ich
perfekter geworden, weil wir sie
nun gemeinsam erleben. Ich fühle mich freier beim Akt und
empfinde weit mehr Genuß. Ich fühle mich in meiner Ehe
nicht mehr als Gefangener, ich merke, daß wir vieles gemeinsam haben. Ich glaube, meine Frau jetzt besser zu kennen.«
Bisher habe ich hier Prozesse spontanen Selbstausdrucks in
Bild, Wort oder Tat dargestellt sowie deren Auslösung mit
Hilfe gesteuerter Wachträume, durch Rekapitulierung beziehungsweise Wiederholung von Träumen, Betrachten von Fotos sowie den Umgang mit verschiedenen Materialien mit Hilfe der
Konfrontation und Personifizierung. Letztere können gelegentlich (mit Ibogain oder Gestalttherapie ohne Anwendung von Drogen) zu sehr datailliertem Ausagieren führen. Doch
gibt cs weitere Situationen, die ich hier erörtern möchte, nicht
nur weil sie mir bei jeder dritten Sitzung etwa begegneten,
sondern wegen ihrer besonderen Qualität und Bedeutung: das
Reminiszieren und Ausagieren früher Jugenderlebnisse, das
durch In-Beziehung-Setzen zur momentanen Situation oder
Imagination, durch Betrachten von Fotos oder Deutung des
Patientenverhaltens in Gang gebracht werden kann.
Wie erwähnt, typisch für Ibogain ist, daß es die Erinnerung an
innere Vorgänge oder Fantasien, und weniger an äußere, wie
bei MDA der Fall, wachruft. Hierbei kann es sich um fixierte
Vorstellungen wie zum Beispiel die Elternbilder oder um gegenwärtige Vorgänge handeln. Als Beispiel dafür kann die Geschichte einer Frau mittlerer Jahre dienen, die sich zu einem
bestimmten Zeitpunkt der Sitzung plötzlich wieder an folgendes Erlebnis erinnerte: Ihr Vater kam mit Geschenken für die Familie nach Haus und schenkte ihren Brüdern und Schwestern
alle möglichen Mitbringsel, die sie sich vorher gewünscht hatten. Sie aber hatte nur den Wunsch geäußert, seine Lieblingstochter zu sein: »Meinetwegen, Papa, solltest du kein Geld ausgeben.« Und so brachte er ihr dann tatsächlich ein ziemlich
wertloses Geschenk mit: eine kleine Brosche in Gestalt eines
Hundes. Diese Geschichte war ihr vermutlich bewußt in Erinnerung gewesen, doch hatte sie seit ihren Kindertagen nicht mehr daran gedacht. Jetzt aber fiel ihr zu ihrer Überraschung
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noch etwas Anderes ein: daß sie sich aus Enttäuschung über das
geringe Geschenk ausgemalt hatte, wie der kleine Hund ihrem
Vater den Penis abbiß und ihn verschlang. Außerdem erinnerte
sie sich, daß sie darüber heftige Gewissensbisse empfand, als sei
das Eingebildete Wirklichkeit gewesen. Dieses Schuldgefühl
hatte seitdem ihr Verhältnis zu ihrem Vater schwer belastet.
Jene wenigen Sekunden inneren Erlebens hatten sich magisch
auf ihr ganzes Leben ausgewirkt und ihrem engen Verhältnis zu
ihrem Vater ein Ende gesetzt. Als ich sie nun aufforderte, sie
möge sich vorstellen, sie spräche jetzt zu ihrem Vater, erzählte
sie ihm, was geschehen war. »Er« zeigte Verständnis, und so
durfte sie sich wieder frei von Schuld fühlen. Als sie dann
wirklich wieder mit ihrem Vater zusammentraf, spürte sie für
ihn wieder die gleiche Liebe wie ehedem.
Dieser Episode läßt sich entnehmen, daß ein seelischer Vorgang sich auf das Leben ebenso oder sogar mehr auswirken kann, als ein Faktum; doch ist sie insofern aufschlußreich, als
sie dokumentiert, daß es möglich ist, sich selbst noch nach sehr
langer Zeit einer Vorstellung zu erinnern, die vermutlich in
dem damaligen Augenblick nicht ins Bewußtsein trat. Diese
spezielle Fantasie scheint ihrem Wesen nach von gleicher Art
zu sein, wie die Iboga-Imaginationen (das Tier, das die Genitalien abbeißt und verschlingt, als ödipale Situation), und desgleichen ebenso die Empfindungen (Zorn, Groll, Frustration), die Iboga auszulösen neigt, so daß wir sogar versucht sein könnten,
diesen ganzen Aspekt der »Iboga-Welt« als Manifestation der
Regression zu bezeichnen. Doch lasse ich diese Frage zunächst
im Raum stehen.
Während die Patientin des letzten Beispiels ihre Fantasievorstellung als solche erkannte, kommt es auch vor, daß sich der Analysand weitgehend einer äußeren Wirklichkeit erinnert,
von der man annehmen kann, daß sie als Pseudoerinnerung in
die Vergangenheit projiziert wird, genau wie die Halluzination
eine Pseudowahrnehmung der Gegenwart ist. Wann immer ich
einen solchen Fall vor mir zu haben glaube, behandle ich die
Erinnerung, als sei sie Imagination, und die agierenden Personen als Projektionen der Persönlichkeit. Darum fordere ich den
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