Die Reise zum Ich
hatte, zärtlich zu sein. Und
ebenso wurde mir klar, daß es nicht nur wichtig ist, geliebt zu
werden, sondern auch wiederlieben zu dürfen. Der Arzt
forderte mich daraufhin auf, sie in die Arme zu nehmen und
zu herzen. Ich nahm sie in die Arme und herzte sie und fühlte
mich wohler. Doch war ich immer noch traurig, und ich fragte
ihn, was ich gegen meine Schuldgefühle tun solle. Er antwortete: Akzeptieren Sie sie.‹ Ich fühlte mich noch immer elend.
Ich war allein in diesem Zimmer. Ich fühlte mich innerlich
elend, elend, elend. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich ein
großes schwarzes Loch in mir. Das erzählte ich ihm nicht,
weil ich es für schlimm hielt. Während ich immer noch im
Kinderbett saß, spürte ich Licht, das in einem deutlich sich
abzeichnenden Strahl durch das Fenster ins Zimmer und auf
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den Fußboden fiel. Das Licht wärmte mich und erfüllte mich
mit dem Gefühl der Einsamkeit. Ich spielte mit dem Licht. Es
war Gott. Ich liebte das Licht und die grünen Pflanzen, die
ich draußen vor dem Fenster sah. Der Tag war so strahlend
und warm, und Mutter so kalt und mißgestimmt. Ein oder das
andere Mal fand ich im Gespräch mit meiner Mutter meine
Stimme wieder. Sie hörte sich traurig an, wie die Stimme
eines kleinen Mädchens, das um Liebe bat. Die einzige Linderung für mein Leid war das Licht.«
Auch hier können wir beobachten, wie sich die Qualität der
Erfahrung steigert, je mehr die Patientin ihren wahren Gefühlen nachzugeben vermag: Schmerz und Liebesbedürfnis, die sie Sich-Selbst (ihre eigene Stimme) finden lassen, wie auch die
Tröstung durch die Helle des Lichts. Das Bild des strahlenförmigen Lichts und das damit verbundene religiöse Gefühl sind anderen visionären Erfahrungen unter Ibogain so ähnlich, daß
man sie kaum als echte Erinnerung betrachten kann. Dennoch
läßt sich nicht ganz von der Hand weisen, daß das Erlebnis des
Lichts im Kind schon Entzücken hervorgerufen haben mag und
insofern jener Urerfahrung entspricht, die der Vorstellung von
Gott als Lichtspender zugrunde liegt.
Trotz des positiven Elements in obigem Zitat läßt sich ihm
entnehmen, daß das Problem der Patientin noch ungelöst blieb.
Sie wurde noch immer von ihrer Ambivalenz hin- und hergerissen, weil sie nicht fähig war, von ganzem Herzen zu lieben.
Doch wie im Fall (des Patienten) Jakob, legten diese wenigen
Minuten der Analyse das Fundament für die in der folgenden
Stunde sich ergebende Synthese, deren Ergebnis in der merklichsten der zahlreichen Veränderungen bestand, die sie in den folgenden Monaten melden konnte. Dies läßt sich an Hand
einer Tagebucheintragung würdigen, die zwei Wochen später
verfaßt wurde:
»Ich pflegte andere Leute zu fragen, ob sie jemals Ähnliches
empfunden hatten wie ich. Ich schämte mich meiner Gefühle. Ich fragte auch meine Mutter, ob ich vielleicht eine Mißgeburt sei! ›Liebt mich denn keiner?« sagte ich. Warum
lieben sie mich nicht? Ich liebte mich ja selbst nicht. Wo war
Adele? Adele befand sich im Innern von Adele, doch sie
schlief. Jetzt ist sie am Erwachen, und es ist an der Zeit. Ich
bin eine Person. Ich bin wie alle anderen. Ich habe das Leben
anderer gelebt, voller Angst vor dem Versuch, mein eigenes
zu leben. Meine Mutter hat mein Leben bis heute zerstört.
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Sie hat sich nie selbst gesehen. Deswegen konnte sie vielleicht mich nicht sehen. Sie lebte anderer Leben. Neid. Gier und Schuldgefühle. Sie fühlt sich gepeinigt. Ich selbst fühle
mich auch gepeinigt, kann aber etwas dagegen tun. Ich muß
mich üben, ich muß in der Welt leben, muß von meinen
Energien Gebrauch machen. Nur in gewissen Momenten
konnte ich mir über mich selbst klar werden und nur mit Hilfe
anderer Menschen. Ich muß einfach in das Leben anderer
blicken und anderer Leben leben. Dabei führe ich ein eigenes
Leben, ein gutes. Ich glaube, ich bin im Begriff, mich von
meinen Eltern zu lösen. Ich bin nicht meine Mutter, Gott sei
Dank. Ich muß anderer Leben akzeptieren. Wie kann ich für
andere Verantwortung übernehmen, wenn ich für mich
selbst keine habe? Ich bin ich. Ich muß ich sein. Ich muß von
nun an ich sein - was immer auch geschehen mag. Ich trage
jetzt die Verantwortung für mich.«
Das Gefühl der Ganzheit, der Befreiung, setzte bei der Patientin in einem Moment ein, da sie sich an der Innenseite einer vertikalen Röhre emporklettern sah. Sie wußte, diese Röhre
versinnbildlichte ihr Leben, die Röhre
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