Die Reise zum Ich
war ohne Boden, und von
der Stelle, wo sie geboren worden war wie auch unterhalb davon
befand sich eine schwarze, tintige, trübe Substanz, die sich ins
Endlose fortsetzte. Als ich sie anwies, sich fallen zu lassen, ließ
sie die Griffe los und fiel, hinab in die tintige Flüssigkeit. Im
Fallen sah sie eine sich drehende Spirale, doch sagte sie später:
»Im Fallen wurde ich Ich. Es war ein sehr angenehmes Gefühl,
und ich begann mich dessen zu freuen. Ich fühlte, daß Liebe
möglich war, und daß sie eine Lebensweise ist.«
Dieser Prozeß der Selbstwerdung und der Entdeckung der
Liebe war die natürliche Fortsetzung der vorangegangenen
Episode, in der sie mit ihren eigenen Empfindungen in Kontakt
gelangte und ihre eigene Stimme entdeckte: die eigene, unter
der Identifikation mit ihrer Mutter begrabene Identität. Wie
schon zuvor wurde die Selbstwerdung mit Hilfe des Sichfallen-
lassens erreicht. In einer früheren Sitzungsphase war es das
Fallenlassen in Kummer und Verzweiflung nach Aufgabe ihrer
Abwehrhaltung gewesen, jetzt jedoch ist es ein totaler Verzicht
auf jede Bemühung, das im Bild des Fallenlassens seine Parallele und seinen Ausdruck findet. Im Verlauf dieses Fallens, beim Anblick der sich drehenden Spirale, hörte die Erfahrung
auf, eine rein visuelle zu sein: Ihr Körper erwachte und nahm
nun teil an dem Vorgang.
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Jener Prozeß des »Eintretens« in ein Bild, selber zu diesem Bild
zu werden, und sich auf diese Weise eine verleugnete Qualität
wiederanzueignen, ist uns nicht nur aus der Gestalttherapie
bekannt. Er besitzt eine weit zurückreichende Tradition, die
viel älter ist als die Psychotherapie, wie wir sie heute kennen.
Der Hindu-Bildhauer der klassischen Zeit zum Beispiel meditierte erst über den Gott, ehe er ihm Gestalt verlieh, indem er sich dessen Bild vor sein geistiges Auge rief und dieses Bild
wurde. Die gleiche Praxis, ohne künstlerisches Ziel, kennen
auch die jüdische Kabbalah und andere magische Traditionen.
Die durch solche Praktiken heraufbeschworenen Götter sind
nichts anderes als spezielle geistige Funktionen oder Geistesprozesse - genau wie die Erscheinungen, mit denen die Psychotherapie es gewöhnlich zu tun hat. In unserem letzten Beispiel symbolisiert die Röhre das gesamte Leben der Patientin - sie
versinnbildlicht ihr eigenes Leben - und ist doch bodenlos und
führt nach Jenseits. Es ist ein großes Ereignis, solch eine Tür zu
finden, an der man anklopfen kann. Für den, der den Eingang
wahrnimmt, ist die Möglichkeit einzutreten bereits gegeben:
Sie besteht in der synthetischen Schau seiner Existenz (wenn es
überhaupt lediglich Schau ist).
Es hat mich überrascht, wie häufig unter Ibogainwirkung das
Bild einer Röhre auftritt, und so möchte ich meine Auffassung
weiter vermitteln, daß sie generell einen »Eingang« darstellt
und damit wertvolle Aufschlüsse für ein mögliches Vorgehen
gibt. Dieser Röhre sind wir in zwei der hier angeführten Beispielen bereits begegnet, doch sollen noch weitere Illustrationen der Klärung ihres Sinnes dienen.
Das nächste Beispiel ist ein Ausschnitt aus einer Sitzung, in
deren Verlauf der Patient ein Bild nach dem anderen gesehen
hatte, ohne jedoch emotionalen Anteil oder besonderes Interesse an ihnen zu nehmen. Sie wirkten ziemlich inhalts- und zusammenhanglos, und in ihrem Ablauf schien sich (uns) kein
definitives
Muster
oder
eine
bestimmte
Tendenz
abzuzeichnen.
An einem bestimmten Punkt sah der Analysand eine Trommel.
Sie ist eine typische Erscheinung der Ibogain-Welt und erweckt
die Assoziation von Impulsivität, Macht, Bewegung und eventuell auch von Primitivismus. Wegen ihrer zylindrischen Form und weil sie hohl ist, kann man sie als Variation des Röhrenthemas
betrachten. Ich forderte den Patienten auf, dieses Instru223
ment zu verkörpern. Daraufhin begann er, mir zu schildern, daß
er sich in eine große goldene Trommel verwandle, die man nur
bei historischen Ereignissen von Bedeutung zu schlagen pflege.
Die Trommel rollte dann einen Hügel hinunter und verwandelte sich schließlich in eine Generalsmütze. Sie gehörte in seinem Traum einem ganz unbedeutenden Mann, der sich lediglich mächtig aufspielte. Der »unbedeutende Mann« läßt nun bedeutungsmäßig auf das Gegenteil dessen schließen, was die
große Trommel anzeigt: auf Minderwertigkeitsgefühle des Patienten, die er hinter einer überheblichen Selbstdarstellung verbirgt. Interessant ist, daß sich
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