Die Reise zum Ich
Prozeß bleibt bei allen Wegen der gleiche: ein Akt des
Einblicknehmens in das, was man aus dem Bewußtsein verdrängte. dem man ausweichen wollte. Und da das, was wir nicht sehen möchten, das ist, wovor wir uns fürchten, gehört zur
Erkenntnis eine Portion Mut. Und da das meiste von dem, was
wir nicht in unser Bewußtseinsfeld treten lassen, für uns
schmerzlich, unbequem oder demütigend ist, kann der Akt der
Selbsterkenntnis die gleichen Empfindungen hervorrufen. So
sollte die Qual und Angst gewisser Drogenerfahrungen als das
Konzentrat monate- oder gar jahrelanger Qualen und Ängste
der Selbsterforschung verstanden werden. Sie sind der unumgängliche Preis für den Blick in die eigene Realität.
Die Erfahrung hat uns gelehrt, daß solch eine Reaktion nur eine
vorübergehende ist, das Ende der via purgativa, die in der
Selbstakzeptierung besteht. Es ist jedoch fraglich, ob dieses
Ende erreicht werden kann, wenn man nicht am Anfang beginnt und die zu heilende Wunde aufdeckt: Widersprüche, die zu versöhnen sind. Selbsthaß, der revidiert, Scham- und
Schuldgefühle, die verarbeitet werden müssen, und so fort.
Die Tatsache, daß es tatsächlich zur Heilung kommt, ist ein
Beweis dafür, daß die »Probleme«, die Ursachen des Leidens,
in gewissem Sinn illusorisch waren.
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Ruft
die
chemisch
herbeigeführte
Bewußtseinsintensivierung
gesteigerte pathologische Formen hervor, so deshalb, weil der
Anschein der »Normalität« auf Kosten seelischer Schmerzfreiheit aufrecht erhalten wurde: Die »Anpassung« wird gewöhnlich durch Leugnung der Probleme und nicht auf dem Wege ihrer Transzendierung erreicht. Doch schon ein weiterer Schritt
auf dem Weg zur Bewußtseinserhellung kann zeigen, daß all
diese nun bloßgelegten pathologischen Erscheinungen nur im
Dunkeln gedeihen können, und die Konflikte, die sie verursachten, die Folge von unterbewußten Verwirrungen sind.
Das Paradox, von dem die Psychotherapie ausgeht, besteht
darin, daß das Leiden, dem wir ausweichen wollen, gerade
durch dieses Ausweichen verewigt wird. Nur wenn wir unserer
Angst und jenem Ungeheuer ins Gesicht sehen, also den Ursachen unserer Qual, können wir entdecken, daß es gar kein zu fürchtendes Ungeheuer gibt. Diese Einsicht findet bisweilen in
den einzelnen Gesprächen mit dem Therapeuten dramatischen
Ausdruck: Der Patient glaubt, daß er sterben müsse. Doch in
dem Augenblick, da er sich dem Tod beugt, erwacht er zur
Ekstase gesteigerten Lebensgefühls. Oder er meint, er werde
verrückt; doch wenn er schließlich imstande ist, sich der Kontrolle zu beugen, stellt er fest, daß die erwartete Katastrophe ausbleibt, daß die Büchse der Pandora in Wirklichkeit leer war
und die erstrebte Kontrolle sich erübrigt.
Diesen Prozeß können wir uns auch als ein allmähliches Unterscheidenlernen zwischen Realität und Illusion vorstellen, als einen Prozeß der »positiven Desintegration« (dabrowski)
oder, behavioristisch ausgedrückt, als eine Umkonditionierung
und »Desensitivierung« durch Exponierung mit dem, dem man
ausweichen wollte. In der Praxis scheint es, kann der Therapeut
nicht mehr tun, als dem Reisenden auf dem Weg in die Hölle
zur Seite zu stehen, wie es virgil bei dante tat, ihm sein Ziel zu
weisen, ihn zum Weitergehen zu ermutigen und ihm notfalls
einen Stoß zu versetzen, wenn er erschrocken zurückweichen
will. Meiner Meinung nach muß die Erkenntnis, daß die Hölle
keine Hölle ist, von innen kommen; sie ist nicht durch wohlgemeinten Zuspruch oder Gehirnwäsche zu erreichen. Das sage ich auch meinen Patienten wieder und wieder: »Bleibt dran am
Ball.« Nur wenn man dran bleibt, gelangt man hindurch, was
immer da sein mag.
Dennoch, neben der Hölle gibt es das Fegefeuer, und auch hier
mag dantes Symbolik für den therapeutischen Prozeß ebenso
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sachdienlich sein wie in anderer Hinsicht. Die Hölle ist ein
Zustand ohnmächtigen hoffnungslosen Leidens; das Purgato-
rio ist ein Zustand des selbstgewählten Leidens um des Zieles
willen. In der Hölle ist man Opfer, im Fegefeuer ein Büßer. In
der Hölle ist der Mensch lediglich kontemplativ mit seiner
Realität
befaßt,
gelähmt
sozusagen
vom
Anblick
seiner
Schrecklichkeit. Das Fegefeuer setzt ein, sobald dieser Zustand
zwar an Bedrohlichkeit verliert, jedoch zum Handeln auffordert. Hier setzt nun die via activa im Gegensatz zur via contemplativa ein; die Leiden des Fegefeuers bestehen in der
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