Die Reise zum Ich
Purgatorium, solches Erleben des Samadhi
vor der Erleuchtung oder die Erfahrung der Gnade vor der
mystischen
Vereinigung,
also
exzeptionelle
Bewußtseinszustände vor der vollen Entfaltung der geistigen Reife nicht nur
mittels spezieller Praktiken angestrebt, sondern auch als Anstoß zur Wesensänderung betrachtet.
Diese
zweifache
Betrachtungsweise
sollte
meiner
Meinung
nach auch in bezug auf die durch psychoaktive Drogen bei
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manchen Personen hervorgerufenen visionären Erlebnisse Anwendung finden. Häufiger als Meditationen und andere Rituale können sie ohne Fegefeuer den Himmel erschließen und Zustände der Einsicht in universelle Wahrheiten herbeiführen, die letztlich auch Gegenstand aller religiösen Mysterien sind, und
das ohne schmerzliche Kontemplation der persönlichen Unzulänglichkeit oder Änderungsbemühungen. Diese Art der Erfahrung mag das Individuum zur Selbstüberhöhung, Selbst-gerechtheit und Stagnation treiben oder Persönlichkeitsveränderungen zur Folge haben. Sie kann ihm aber auch als Licht den Weg weisen.
Was man auch alles über den therapeutischen Wert visionären
Erlebens sagen kann, meiner Meinung nach hat die Ansicht
(siehe ausführlich darüber im 3. Kapitel) etwas für sich, daß
Persönlichkeitsveränderungen
und
visionäre
Erfahrungen
zweierlei sind, in welchem Zusammenhang sie auch immer
stehen mögen. Beide können sie jeweils ein Schritt zum anderen hin sein, doch sollte man sich vor Augen halten, daß eine
»Mystische Erfahrung« zum Beispiel lediglich die psychische
Gesundung unterstützen kann (indem sie dem Individuum beispielsweise eine übergeordnete Perspektive im Blick auf seine Probleme vermittelt), während seelische Gesundheit lediglich
die Aufnahmebereitschaft für eine vertiefte Realitätserfahrung
vermehrt, die der Kern visionären Erlebens ist.
Die Tatsache, daß die bisweilen mit Hilfe von Drogen der einen
oder anderen Art erreichten »mystischen Erfahrungen« sich im
allgemeinen weniger auf das Leben der betreffenden Person
auszuwirken scheinen als spontan auftretende Erscheinungen
dieser Art (oder solcher, die aus systematischen spirituellen
Disziplinen resultieren), hat oft die Frage ausgelöst, ob beide
tatsächlich ein und derselben Natur seien.
Es ist nur natürlich anzunehmen, daß ein spontanes religiöses
Erlebnis dauerhaftere Wirkung haben wird als ein mit Hilfe
äußerer Mittel herbeigeführtes, denn schon allein das Auftreten jenes spontanen Erlebens ist ein Anzeichen dafür, daß die Persönlichkeit dieser Erfahrung oder den sich ergebenden Implikationen menschlich gewachsen ist. Je mehr äußere Mittel -
chemischer oder anderer Natur - zu ihrer Herbeiführung notwendig sind, desto eher kann man auf psychologische Hindernisse schließen, auf eine Deckungsungleichheit der Wertungen, Motivationen und Einstellungen bei normalem und anormalem
Zustand. Stellen wir uns jedoch die künstlich ausgelöste
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visionäre Erfahrung als momentane Befreiung aus dem Gefängnis der strukturbedingten Konflikte der Normalpersönlichkeit vor, dürfen wir ihren Wert darin sehen, daß sie einen Vorgeschmack der Freiheit und eine erweiterte Lebensperspektive vermittelt. Sie wird ein Schritt zur dauernden Befreiung des solchermaßen Gefangenen sein, indem sie den Anreiz vermehrt, die idealisierten Vorstellungen seiner Gefangenenperspektive erschüttert und ihm wertvolle Orientierungshilfe und Aufschlüsse aus transzendenten Quellen für seinen Weg in
die Freiheit gibt. Viel hängt davon ab, wie sich der Gefangene
verhält, wenn die Tür zu seiner Zelle eine Zeitlang unverriegelt
bleibt. Im einen Fall mag er die Tür nicht einmal aufstoßen, da
er im Schlafzustand lebt oder Angst hat vor dem Leben jenseits
der Mauern, von denen umfriedet er zu leben gewohnt ist. Im
anderen Fall mag er hinausgehen um sich Nahrung aus einem
benachbarten Zimmer zu holen, oder auch nur um ein paar
Schritte zu tun und sich der ungewöhnlichen Landschaft zu
erfreuen. Oder er mag sich allem anderen voran darum bemühen, seine Zeit zu nutzen, um sich dauernde Freiheit zu sichern.
Er mag nach Hilfe suchen oder nach Instrumenten, damit er die
Gitter durchbrechen kann, sollte er erneut in Gefangenschaft
geraten, oder sich gar um die Anfertigung eines zweiten Schlüssels zum Türschloß bemühen.
Mit anderen Worten, die künstlich herbeigeführte Ekstase ist
als Zustand zu verstehen, der durch eine vorübergehende Aufhebung der Hindernisse
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