Die Reise zum Ich
er
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Experimente mit vielen, den Fachleuten noch unbekannten
Mischungen durch. Damit hat er eine Pionierleistung erbracht.
Zu einer Zeit, da das Experimentieren mit bewußtseinsverändernden Drogen in erster Linie von Teenagern und Laien betrieben wird und die Fachleute sich ihre Meinung nach Zeitungsschlagzeilen bilden, hielt naranjo unbeirrt an seiner nüchternen qualifizierten Forschungstätigkeit fest.
Als Facharzt gehört er zu den wenigen, systematisch in diesem
Feld arbeitenden Wissenschaftlern: Aufgrund seines reichen
Erfahrungsschatzes verfügte er über den notwendigen experimentellen Fundus, um als erster eine Klassifizierung veränderter Bewußtseinszustände zu versuchen. Wiewohl noch viele weitere experimentelle Arbeit auf diesem Gebiet vonnöten sein
wird, hat naranjo wohl zumindest die Grundlagen für eine
selektive und spezifisch drogengesteuerte Psychotherapie geschaffen. So wird es künftig vielleicht möglich sein, aus einer Reihe von psychoaktiven Drogen jeweils die für den speziellen
Fall geeignete Substanz auszuwählen und sie mit den adäquaten
psychotherapeutischen Techniken zu kombinieren. Die künftigen Möglichkeiten solch selektiven Vorgehens lassen sich der Darstellung der spezifischen Wirkungen der verschiedenen
Drogen deutlich entnehmen. Darüber hinaus werden sie auch
durch die komprimierten Krankengeschichten illustriert.
Die bedeutendste Leistung claudio naranjos besteht indes in
der Entdeckung und Einführung neuer Drogen, die sich von
den klassischen Psychedelica unterscheiden und dem Arzt die
Arbeit erleichtern; sie rufen keine Halluzinationen und auch
nicht die tiefgreifenden zerstörerischen Wirkungen auf den
Geist hervor, wie LSD, Meskalin und Psilocybin. Der mit diesen neuen Drogen erzeugte Zustand kann für die Tiefenanalyse genutzt werden, während ihre Wirkungen für den Arzt wie für
den Patienten leichter zu steuern sind. Ich halte es für durchaus
berechtigt, daß naranjo sie nicht einfach in die alte Kategorie
der Halluzinogene und Psychedelica miteinbegriffen, sondern
sie noch durch die Bezeichnung »empfindungssteigernd« und
»imaginationssteigernd« differenziert hat.
Die Darstellung der Aktiva wäre unvollständig, wenn man
nicht auch auf naranjos profunde Kenntnis archaischer Religionssysteme hinweisen würde. Sie hat ihm geholfen, einerseits die zwischen der Weisheit der Alten und der modernen Wissenschaft bestehende Kluft und dem scheinbar unüberbrückbaren Gegensatz zwischen dynamischer Psychotherapie und spirituel9
ler Führung andererseits auszugleichen. Seine zeitgemäße Neuformulierung jenes Konzepts, dem zufolge sowohl den Höllenqualen als auch dem ekstatischen Hochgefühl ein Heilungspotential innewohnt, ebenso wie die Erörterung der Gemeinsamkeit, die zwischen der psychotherapeutisch hervorgerufenen Steigerung des Empfindungsvermögens und der Erweiterung
spiritueller Erkenntnis unter Leitung eines geistigen Führers
bestehen, gehören zu den interessantesten Aspekten dieses
Buches.
Der Reichtum an klinischen Beispielen zur Illustration von
Drogenwirkungen und unterschiedlichen Techniken zur Bewältigung schwieriger therapeutischer Situationen verleiht diesem Buch eine neue Dimension. Von der Drogenforschung abgesehen sind diese an sich schon von Wert und machen es zu
einem praktischen Handbuch für den fortgeschrittenen Therapeuten.
Zu alledem bietet naranjos Werk ein überaus informatives, an-
und aufregendes Lesevergnügen. Für den seriösen Studenten
der Verhaltensforschung, der an Neuerungen auf den Gebieten
der Psychotherapie, Psychopharmakologie und experimentellen Psychiatrie und schließlich auch an Religionspsychologie interessiert ist, sollte dieses Buch zur Pflichtlektüre gehören.
Dank seiner ungewöhnlichen Klarheit und Verständlichkeit
wird es auch dem intelligenten Laien, der sich zuverlässig auf
diesem Gebiet informieren möchte, als unentbehrliches Werkzeug dienen.
STANISLAUS GROF
Leiter der Psychiatrischen Forschungsabteilung
Maryland State Psychiatric Research Center
Oktober 1970
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Einleitung
Vorstoß in den inneren Raum
Dieses Buch wurde Anfang 1970 abgeschlossen, als ich mich
auf eine Reise ohne Wiederkehr, wie ich glaubte, vorbereitete,
die sie in gewisser Hinsicht auch wurde. Hinter mir lagen
siebenunddreißig Jahre eines Lebens, das seine Prägung durch
das Studium der Musik, der Philosophie, der Medizin und durch
die Suche nach dem Stein der Weisen erfahren
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