Die Reise zum Ich
Verhaltensgewohnheiten) nicht kenne,
und die Qualität dieses Erlebnisses bestand - und besteht
noch heute nach vierzehn Tagen - in einem Zustand, der
mich in die Lage versetzt, gemächlich mit meiner Zeit umzugehen und mit meinen Freunden Umgang zu pflegen.«
Was ist es also, praktisch gesehen, was dem Patienten in solch
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einem Augenblick und in einem Zustand, der nicht besser sein
könnte, zu bieten wäre? Generell würde ich vorschlagen,
schrittweise auf die Stabilisierung der Resultate der visionären
Erfahrung abzuzielen:
1 . Freier Ausdruck des gegenwärtigen Zustands und
seiner Sicht
Man darf davon ausgehen, daß die veränderte Gefühlslage des
Patienten nicht nur eine Sache der Stoffwechselvorgänge in
seinem Nervensystem ist, vielmehr einen tiefgreifenden Wandel seiner Auffassungen, was Menschen und Umwelt betrifft, wie auch seiner Wertauffassungen zur Folge hat. Da dieser
Wandel, wenn er von Dauer ist, seinerseits diese neue Gefühlslage festigt, wäre es gut, diese dem Patienten so weit wie möglich bewußt zu machen und auf diese Weise dazu beizutragen, daß er die implizite verzerrten Ansichten, die den Symptomen
zugrunde lagen, bewußt korrigiert. So mag er aufhören, sich
von einem bestimmten Menschen verfolgt zu fühlen, oder er
mag auf einem bestimmten Gebiet seinen Wert entdecken, auf
dem er sich für inkompetent hielt. Das Gesamtvorgehen sollte
darauf hinauslaufen, den Patienten zu fragen, weshalb ihm jetzt
alles in Ordnung zu sein scheint, oder warum er sich nun keine
Sorgen mehr macht, damit er genötigt ist, seine innere Erkenntnis begrifflich zu formulieren.
Im Fall unseres ersten Patienten hatte dies, wie erwähnt, die
Erkenntnis seiner Tendenz zur Selbstbestrafung zur Folge.
Eine weitere Realisierung, die ihm half, seine neue geistigseelische Verfassung zu beschreiben, fand in den Worten »es macht nichts« ihren Ausdruck, die in Wirklichkeit etwa bedeuteten: »Nichts kann mir die Daseinsfreude nehmen, die sich selbst Ziel ist.« Der Vorteil des Sich-ausdrücken-Müssens besteht darin, daß seine schriftlichen Resultate zugleich als Erfahrungsspeicher dienen und damit als Mittel zum Neu-erleben der Erfahrung. Wie in der Kunst sind auch hier die Produkte des
Ausdrucks ein Mittel, Unsichtbares sichtbar zu machen und
einem flüchtigen Augenblick geistigen Erlebens feste Gestalt
zu verleihen.
2. Kontemplation der Alltagswirklichkeit
Von großer Wichtigkeit in diesem Zusammenhang ist die Konfrontierung mit bestimmten Personen und Umständen, Stimuli, die meist schmerzliche oder neurotische Reaktionen auslösen.
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Hier ist aufgrund des Zustands der Integration die Gelegenheit
zur Entdeckung einer neuen Reaktionsstruktur gegeben, die
nach Abklingen des visionären Erlebens weniger leicht möglich
wäre, da noch nicht die genügende Distanz von den gegebenen
Umständen gewonnen wurde. Zuerst führt man die geistige
Konfrontation, dann erst die Konfrontation mit der Realität
herbei - eine Strategie, die sich mit der des perseus vergleichen
läßt, der, als er sich der medusa näherte, ihr nicht direkt ins
Gesicht sah, sondern nur ihrem Spiegelbild auf dem Schild, den
minerva ihm gegeben hatte.4
Hierbei können Fotos sehr nützlich sein, da die Aufschlüsse, die
ihre Betrachtung durch den Patienten liefert, wertvolle Ausgangspunkte für die Assoziationen bieten - im Gegensatz zur Befragung, bei der man oft nur stereotype Antworten erhält.
Wann immer die Äußerungen des Patienten neugeartete Betrachtungsweisen oder Empfindungen erkennen lassen, die dazu angetan sein können, den Teufelskreis zu durchbrechen,
sollte der Patient ermuntert werden, ihnen freimütig Ausdruck
zu geben, damit sic als Teil seines erweiterten Reaktionsreper-
toirs geistig fixiert werden. Die imaginierte Begegnung mit
einer gegebenen Person, bei der sich ein Dialog entwickelt,
kann ebenso nützlich sein wie die Niederschrift, die sich auch
unter Wirkung von MMDA durchaus bewährt.
Das folgende Beispiel stammt aus dem Bericht eines jungen
Mannes, der fünf Jahre lang in psychotherapeutischer Behandlung gewesen war und zur Zeit der Sitzung in einer chaotischen und schmerzlichen Ehekrise steckte:
» .. . Ich erinnere mich, daß ich auf dem Teppich in einem
Zimmer lag, erfüllt von einem Gefühl der Wärme und des
Wohlbehagens. Dr. N. kam herein und forderte mich zu
einem Gespräch auf. Ich erzählte ihm von meiner Liebe zu
Jeanne und wie verletzt ich mich fühlte.
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