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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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Bald
    schwimme ich mitten im Flammenmeer. Ich schwimme wie
    ein Frosch.
    Das habe ich erwartet. - Dr. N. sagt mir, ich sollte tauchen
    und nachsehen, was unten ist. Ich gehorche und fühle mich
    kräftig mit dem Kopf nach unten schwimmen. Ich spüre kein
    Feuer mehr, sondern nur noch Wasser. Ich brauche nicht
    Luft zu schöpfen und könnte in alle Ewigkeit weiterschwimmen. Ich suche den Grund zu erreichen, doch vergebens. Ich denke an Umkehr. Aus dem gleichen Grund: Ich möchte
    mich drücken. Aber ich habe es nun einmal angefangen, und
    es ist jetzt keine Zeit mehr, sich Gedanken zu machen. Ich
    muß auf den Grund gelangen.
    Das Wasser wird heller, und nun sehe ich den Grund des
    Feuermeers schimmern. Er ist aus weißem Sand. Ich berühre
    ihn mit den Händen. Er ist rauh. Jetzt stehe ich mit den
    Füßen auf dem Sand, und ich beginne zu gehen, halb gehe
    ich, halb schwebe ich. Linker Hand sehe ich riesige Perlen,
    (etwa sechzig Zentimeter im Durchmesser), sie schimmern
    feucht, als ob sie schwitzen. Pflanzliches Leben gibt es hier
    nicht. Der Meeresgrund ist steril.
    Zu meiner Rechten sehe ich drei nackte Frauen, zwei sind
    weiß, die andere ist schwarz. Nur schwarz, was die Farbe
    betrifft, denn ihre Leiber sind miteinander identisch, sie sind
    wie eine einzige Frau. Sie haben außerordentlich schöne
    Brüste. Ich fühle mich sofort angereizt und möchte es am
    liebsten mit ihnen treiben (oder mit ihr?).
    Wieder fällt mir unangenehm auf, daß der Meeresgrund
    vollkommen trocken ist, obwohl alles unter Wasser liegt. Ich
    fühle keinerlei Nässe, jene Feuchtigkeit, die den Dingen erst
    Wärme gibt, die ihren Duft zur Entfaltung bringt, der für
    mich ein Ausdruck des Lebens ist. Obwohl die Perlen feucht
    glänzen, genügt mir das nicht. Ich schaue nach pflanzlichem
    Leben aus, nach Grün, nach dem Geruch von Erde oder Sand
    oder feuchtem Gras, und ich kann sie nicht finden.
    Rechts ist ein junges Paar. Er sitzt halb liegend auf einer
    gigantischen Melonenscheibe, die ihm den Rücken stützt. Sie
    schmiegt sich eng an ihn. Ihre Münder vereinen sich in einem
    innigen Kuß. Dabei streichelt er gleichzeitig ihre Brüste und
    ihr Geschlecht. Auf ihren Gesichtern spiegelt sich tiefste
    Glückseligkeit. Sie genießt seine Zärtlichkeiten, und er ge153

    nießt ihre Lust.
    Sofort kommt mir in den Sinn, auf einer großen Melonenscheibe Liebe zu machen. Jetzt habe ich gefunden, wonach ich suchte. Die Nässe einer Melone, eines Mundes, einer
    riesigen Vagina. Warum nicht in sie eindringen? Nachdem
    ich im Feuer geschwommen bin, halte ich alles für möglich.
    Ich betrete einen dunklen Hohlraum und berühre seine weichen nassen Wände mit den Händen. Wie soll ich es ausdrük-ken? Was mich umschließt, liebkost mich mit umhüllender
    Zärtlichkeit. Ich bin nackt und spüre die Berührung am
    ganzen Leib.
    Am Ende der Höhlung befindet sich eine Wendeltreppe;
    über sie gelangt man durch die Tuben zu den Ovarien. Ich
    steige hinauf, bin ungeheuer aufgeregt, daß ich nun den Ort
    kennenlernen werde, wo das Leben beginnt! Ich bin angekommen und befinde mich in einer weiten Halle, in der die Farbe Weiß dominiert. Hinter einem Tisch sitzt eine junge
    Dame in einem weißen Kittel, die eine Brille trägt. Sie blickt
    streng drein. Ich mag sie nicht. Sie ist kalt.
    Ich frage sie, was sie tut, warum sie hier ist. Zu meiner
    Überraschung erfahre ich, daß sie, wie ihre Kollegin in einer
    weiteren, ebensolchen Halle, beauftragt ist, die Empfängnis
    festzustellen. Ich bin mir meines erstaunten Gesichtsausdrucks bewußt, sie aber nimmt keine Notiz davon. Auf mein Befragen erklärt sie mir, die Menschen hielten die Empfängnis für eine Folge des Geschlechtsverkehrs. Aber der Verkehr sei lediglich ein Liebesakt, und ihre Aufgabe sei es, Empfängnis zu verhüten.
    Ich befrage sie, welche Kriterien oder Politik ihren Entscheidungen zugrunde liege, worauf sie mich unterrichtet, daß jede Konzeption in einem großen Buch registriert würde -
    eine Art Buch des Lebens.
    Ich gehe näher, um es mir anzusehen. Es ist uralt, einer Bibel
    ähnlich, mit einem eigentümlichen Einband. Alle Geburten
    mit ihrer neunmonatigen Wartefrist sind darin eingetragen.
    Die Eintragungen enden schon 1892. Die restlichen Buchseiten sind leer. Der letzte Satz der Eintragungen lautet:
    ›Und es kommt der Tag, da der Mensch mit Hilfe von Wissenschaft und Technologie zu seinem eigenen Schöpfer wird.‹
    Dieser Ort mißfällt mir, und ich beschließe zu gehen. Ich

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