Die Reise zum Ich
Bald
schwimme ich mitten im Flammenmeer. Ich schwimme wie
ein Frosch.
Das habe ich erwartet. - Dr. N. sagt mir, ich sollte tauchen
und nachsehen, was unten ist. Ich gehorche und fühle mich
kräftig mit dem Kopf nach unten schwimmen. Ich spüre kein
Feuer mehr, sondern nur noch Wasser. Ich brauche nicht
Luft zu schöpfen und könnte in alle Ewigkeit weiterschwimmen. Ich suche den Grund zu erreichen, doch vergebens. Ich denke an Umkehr. Aus dem gleichen Grund: Ich möchte
mich drücken. Aber ich habe es nun einmal angefangen, und
es ist jetzt keine Zeit mehr, sich Gedanken zu machen. Ich
muß auf den Grund gelangen.
Das Wasser wird heller, und nun sehe ich den Grund des
Feuermeers schimmern. Er ist aus weißem Sand. Ich berühre
ihn mit den Händen. Er ist rauh. Jetzt stehe ich mit den
Füßen auf dem Sand, und ich beginne zu gehen, halb gehe
ich, halb schwebe ich. Linker Hand sehe ich riesige Perlen,
(etwa sechzig Zentimeter im Durchmesser), sie schimmern
feucht, als ob sie schwitzen. Pflanzliches Leben gibt es hier
nicht. Der Meeresgrund ist steril.
Zu meiner Rechten sehe ich drei nackte Frauen, zwei sind
weiß, die andere ist schwarz. Nur schwarz, was die Farbe
betrifft, denn ihre Leiber sind miteinander identisch, sie sind
wie eine einzige Frau. Sie haben außerordentlich schöne
Brüste. Ich fühle mich sofort angereizt und möchte es am
liebsten mit ihnen treiben (oder mit ihr?).
Wieder fällt mir unangenehm auf, daß der Meeresgrund
vollkommen trocken ist, obwohl alles unter Wasser liegt. Ich
fühle keinerlei Nässe, jene Feuchtigkeit, die den Dingen erst
Wärme gibt, die ihren Duft zur Entfaltung bringt, der für
mich ein Ausdruck des Lebens ist. Obwohl die Perlen feucht
glänzen, genügt mir das nicht. Ich schaue nach pflanzlichem
Leben aus, nach Grün, nach dem Geruch von Erde oder Sand
oder feuchtem Gras, und ich kann sie nicht finden.
Rechts ist ein junges Paar. Er sitzt halb liegend auf einer
gigantischen Melonenscheibe, die ihm den Rücken stützt. Sie
schmiegt sich eng an ihn. Ihre Münder vereinen sich in einem
innigen Kuß. Dabei streichelt er gleichzeitig ihre Brüste und
ihr Geschlecht. Auf ihren Gesichtern spiegelt sich tiefste
Glückseligkeit. Sie genießt seine Zärtlichkeiten, und er ge153
nießt ihre Lust.
Sofort kommt mir in den Sinn, auf einer großen Melonenscheibe Liebe zu machen. Jetzt habe ich gefunden, wonach ich suchte. Die Nässe einer Melone, eines Mundes, einer
riesigen Vagina. Warum nicht in sie eindringen? Nachdem
ich im Feuer geschwommen bin, halte ich alles für möglich.
Ich betrete einen dunklen Hohlraum und berühre seine weichen nassen Wände mit den Händen. Wie soll ich es ausdrük-ken? Was mich umschließt, liebkost mich mit umhüllender
Zärtlichkeit. Ich bin nackt und spüre die Berührung am
ganzen Leib.
Am Ende der Höhlung befindet sich eine Wendeltreppe;
über sie gelangt man durch die Tuben zu den Ovarien. Ich
steige hinauf, bin ungeheuer aufgeregt, daß ich nun den Ort
kennenlernen werde, wo das Leben beginnt! Ich bin angekommen und befinde mich in einer weiten Halle, in der die Farbe Weiß dominiert. Hinter einem Tisch sitzt eine junge
Dame in einem weißen Kittel, die eine Brille trägt. Sie blickt
streng drein. Ich mag sie nicht. Sie ist kalt.
Ich frage sie, was sie tut, warum sie hier ist. Zu meiner
Überraschung erfahre ich, daß sie, wie ihre Kollegin in einer
weiteren, ebensolchen Halle, beauftragt ist, die Empfängnis
festzustellen. Ich bin mir meines erstaunten Gesichtsausdrucks bewußt, sie aber nimmt keine Notiz davon. Auf mein Befragen erklärt sie mir, die Menschen hielten die Empfängnis für eine Folge des Geschlechtsverkehrs. Aber der Verkehr sei lediglich ein Liebesakt, und ihre Aufgabe sei es, Empfängnis zu verhüten.
Ich befrage sie, welche Kriterien oder Politik ihren Entscheidungen zugrunde liege, worauf sie mich unterrichtet, daß jede Konzeption in einem großen Buch registriert würde -
eine Art Buch des Lebens.
Ich gehe näher, um es mir anzusehen. Es ist uralt, einer Bibel
ähnlich, mit einem eigentümlichen Einband. Alle Geburten
mit ihrer neunmonatigen Wartefrist sind darin eingetragen.
Die Eintragungen enden schon 1892. Die restlichen Buchseiten sind leer. Der letzte Satz der Eintragungen lautet:
›Und es kommt der Tag, da der Mensch mit Hilfe von Wissenschaft und Technologie zu seinem eigenen Schöpfer wird.‹
Dieser Ort mißfällt mir, und ich beschließe zu gehen. Ich
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