Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
Vom Netzwerk:
deutet das Ende der Traumsequenz die Niederlage des Analysanden an.
    Die Reise seiner Seele wurde unterbrochen, und da er dies nicht
    als frustrierend eingestand, könnte hier das Motiv für seinen
    Alkoholexzeß und seinen unerklärlichen Wutausbruch zu suchen sein.
    Es erscheint mir daher wünschenswert, für die einer Assimilie-
    rung der Harmalin-Erfahrung günstigen Bedingungen zu sorgen, zu denen im Anschluß eine mehrtägige Reflexion, eine Abschirmung gegen exzessiven Umweltdruck und vor allem
    eine Fortsetzung des Kontakts mit dem Therapeuten gehören.
    Auch stellt sich die Frage, wieweit eine mehrfache Harmalin-
    Behandlung der Weiterentwicklung der in der ersten Sitzung
    gewonnenen Themen, Einsichten und Empfindungen tatsächlich förderlich wäre. Nur gelegentlich habe ich meinen Analysanden mehr als einmal Harmalin verabfolgt, doch soll eine weitere Krankengeschichte, die vier Sitzungen umfaßte, sowohl
    die Natur solcher Weiterentwicklung als auch ihre allmähliche
    Auswirkung auf die klinischen Befunde verdeutlichen.
    158

    Diesmal handelt es sich um eine fünfundzwanzigjährige Frau,
    die sich bereits seit anderthalb Jahren einer Psychoanalyse
    unterzog, und zwar mit großem Gewinn für ihre Persönlichkeit,
    doch ohne merkliche Besserung der Symptome, die den Hauptanlaß für die Behandlung gegeben hatten: qualvolle Angstzustände, Todesfurcht oder Furcht vor Ohnmächten, begleitet von körperlichen Symptomen wie Atemnot und Parästhesie.
    Diese Symptome traten mit Vorliebe in einförmigen Großstadtstraßen, weniger in kurvenreichen, buntgemischten oder baumbestandenen Straßen auf. Auch im Kino bekam sie Platzangst und pflegte meist die Augen zu schließen, wenn unangenehme Szenen im Film vorkamen. Solcher Phobie ging im Freien gewöhnlich eine Periode von Geistesabwesenheit voraus, bei der sie häufig an ihrem Ziel vorbeilief oder zu weit mit dem Bus fuhr. Während der Analyse kam es am häufigsten zu
    Assoziationen von Gefahrensituationen in der Kriegszeit, als
    sie zusammen mit ihren Eltern unter Flugzeugbeschuß geraten
    war. Die Symptome dieses Traumas zeigten sich erst viele Jahre
    später anläßlich einer schweren Erkrankung ihres Vaters. Wie
    diese beiden Geschehnisse zusammenhingen, war nicht genau
    zu klären. Sie hatte sehr an ihrem Vater gehangen und seinen
    Jähzorn geerbt. Als sie noch ein Kind war, hatte er sie oft mit an
    den Strand genommen, und noch heute als Erwachsene wirkte
    der Anblick des Meeresstrandes beruhigend auf sie und machte
    aller Angst und Depression ein Ende.
    Einen großen Teil der ersten Harmalin-Sitzung verbrachte die
    Patientin mit archetypisch ergiebigen traumartigen Sequenzen.
    In ihnen spielte das Bild eines Tigers eine besondere Rolle. Als
    »schwebende Flecke, wie Tigeraugen« meldeten sich die ersten
    Symptome der Drogenwirkung, auf die »viele Tigergesichter«,
    dann Panther, alle möglichen Katzenarten, schwarze und gelbe,
    und schließlich der Tiger folgten. Er war ein großer sibirischer
    Tiger, und da sie seine Gedanken lesen konnte, mußte sie ihm
    gehorchen. Das tat sie dann mehrmals, doch irgendwie schienen diese Szenen nicht vollständig zu sein. Dennoch bleibt eine
    »Sehnsucht nach dem Tiger« in ihr bestehen. Nach einer Episode (die noch geschildert wird), in der sie ihrem Vater begegnete, wurde ihr klar, daß sie tatsächlich nunmehr bereit war, dem Tiger zu folgen, und das geschah dann auch.
    Die Beschreibung der letzten Episode, die ich in ihren eigenen
    Worten bringe, setzt an einem Punkt ein, als sie, dem Tier
    folgend, am Rand eines Plateaus anlangt und auf einen Ab159

    grund herniederblickt, der die Hölle darstellt. Er ist kreisrund
    und angefüllt mit flüssigem Feuer oder flüssigem Gold, in dem
    Menschen umherschwimmen.
    »Der Tiger will, daß ich dort hingehe. Ich weiß nicht, wie ich
    da hinunter komme. Ich packe den Tiger am Schwanz, und er
    springt hinab. Weil er so starke Muskeln hat, ist sein Sprung
    graziös und ganz langsam. Der Tiger schwimmt in dem flüssigen Feuer, und ich sitze auf seinem Rücken. Plötzlich sehe ich, daß mein Tiger dabei ist, eine Frau zu fressen. Doch nein!
    Es ist nicht der Tiger, sondern ein Tier mit einem Krokodilkopf und einem fetteren, größeren Körper und cs hat vier Beine (obwohl sie nicht sichtbar sind). Überall tauchen Eidechsen und Frösche auf. Und der Teich verwandelt sich in einen grünlichen Sumpf stehenden Wassers. Er ist voller
    Lebens: Es wimmelt von primitiven Lebensformen,

Weitere Kostenlose Bücher