Die Reise zum Ich
jedoch gehemmt. Er bewunderte sie, litt indes unter Schuldgefühlen, weil er sie nicht herzlicher
liebte. Dennoch fand er zu ihr nicht den intimen Kontakt, wie
später zu einer anderen Frau. Vier Jahre lang war er nicht
imstande, sich zwischen seinem Heim und seiner neuen Liebe
zu entscheiden und wurde sich zunehmend bewußt, daß diese
Alternative die Wahl zwischen zwei verschiedenen Wertsystemen in sich begriff. In einem in diesem Zusammenhang kritischen Augenblick meldete er sich freiwillig zur Teilnahme an einem Experiment, zu dem auch die hier zitierte Harmalingesteuerte Sitzung gehörte, und zwar in der Hoffnung, mehr 156
Klarheit über sich selbst zu gewinnen, was ihm die Entscheidung erleichtern sollte.
In der Folge ging ihm dann auf, daß er mit der Aufrechterhaltung seiner Ehe aus Pflichtgefühl die »Trockenheit« wählte.
Sein Verlangen wurde nun drängender, während er seine strengen Anforderungen an sich selbst herabschraubte. Fünf Tage später gab er einer ihm unbekannten Spontaneität nach: In
Gesellschaft von Freunden betrank er sich und wurde dabei
unvermutet sehr heftig; dann vergaß er das Ganze.
Man könnte sich fragen, ob diese Reaktion auf einen bei diesem
Patienten bereits exzeptionellen Zustand (der Alkoholvergiftung) nicht in einem intuitiven Bedürfnis nach weiterer Harmalin-Erfahrung begründet war. Sie hatte zwar ein Szenenbild des psychischen Standes der Dinge erbracht, doch noch war es
Sache des Patienten, sich die Gewalt der Empfindungen seines
unterdrückten Selbst angesichts jener »antiseptischen« Schwestern bewußt zu machen, die seiner Seele als konstante »Anti-Lebenshaltung« eingepflanzt war. Zu ähnlichen Reaktionen
kam es nach diesem Wutanfall nicht wieder, und sein Zustand -
mehr er selbst zu sein als zuvor - blieb von Dauer. Inzwischen
lebt er seit vier Jahren mit seiner zweiten Frau nach seinem Stil,
wie er es ausdrückte.
Die meisten Erfahrungen bei einer einmaligen Anwendung von
Harmalin (was für beide Fälle zutrifft) bestehen in nichts anderem, als daß der Geist sich kopfüber in die Mythenwelt, ins Reich transpersonaler Symbole und Archetypen stürzt, und
insofern sind sic den Initiationsriten primitiver Stämme wesensgleich. Und ebenso werden die jungen Leute durch die Zerreißproben der Pubertätsriten (mit oder ohne Unterstützung durch Drogen) in die Lage versetzt, mittels Symbolen oder Mythen - den Speichern des spirituellen Erbes ihrer Kultur -
mit der Kollektiverfahrung ihres Stammes zu kommunizieren.
Die dabei vermittelte Einstellung zum Leben gilt ihnen als für
den Reifungsprozeß wie auch für die soziale Ordnung des
Stammes von entscheidender Bedeutung. Ehrfurchtsvoll wird
sie auf diese Weise von Generation zu Generation weitergegeben, bleibt Gegenstand der Initiation und anderer Rituale und Feste, die dazu dienen, mit diesem Seinsbereich in Verbindung
zu treten beziehungsweise das Bewußtsein für seine Existenz
wachzuhalten. Die südamerikanischen Indianer benutzen ihre
Harmala-Alkaloid enthaltenden Tränke nicht nur bei den Pu157
bertätsriten, sondern vor allem bei der Initiation der Schamanen - den Psychiatern der Primitiven deren Sachkenntnis auf dem Gebiet psychologischer Phänomene unter anderem die
Tatsache beweist, daß sie sich mit der Deutung von Träumen
befassen.
Sehen wir von den auf der Hand liegenden therapeutischen
Implikationen des initiatorischen Prozesses ab (in dem Sinn,
daß er die Verbindung zwischen dem Tagesbewußtsein und
dem Bereich des Archetypischen herstellt), hat uns das Resultat dieser Sitzungen bislang noch nicht restlos befriedigt. Es wurde dabei ein Prozeß eingeleitet, aber was dann? Ein Mensch
hat eine neue Erfahrung durchlaufen und geht aus ihr mit einer
erhöhten Wahrnehmung seiner Selbstheit hervor, was anzeigt,
daß er mit einer tieferen Bewußtseinsschicht in Verbindung
getreten ist und eine bisher ungekannte Spontaneität kostete.
All dies ist positiv zu bewerten und mag ausreichen, einen
Wandel seiner Gefühle oder die Behebung seiner Symptome zu
bewirken oder um neue Interessen zu wecken oder bei einer
Entscheidung - siehe oben - Orientierungshilfe zu leisten.
Dennoch konnte ich mich in diesen Fällen des Eindrucks nicht
erwehren, daß ich nur den ersten Akt eines Dramas mitangese-
hen hatte. Weitere Symbole mögen unentschlüsselt, weitere
Konflikte ungelöst, visuelle Abläufe an kritischen Punkten unterbrochen worden sein. Beim letzten Fallbeispiel
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