Die Reise zum Ich
alt,
hat Eheprobleme und leidet unter kurzfristigen Angstzuständen.
»Dr. N. sagt mir, ich solle mir einen Berg vorstellen, was mir
nicht schwerfällt. . . aber ich kann ihn nicht sehen. Der Berg
ist nicht da, wie die früheren Bilder, ich habe nur die ›Vor-
stellung‹ von einem Berg. Und zwar nicht vor mir, sondern in
mir.
Ich beschreibe den Berg. Er hat die Form eines stumpfen
Kegels, ist sehr hoch und von blaugrauer Farbe. Seltsam,
könnte ich ihn sehen, würde er anders sein als alle Berge, die
ich kenne.
Ich werde aufgefordert, den Berg zu besteigen, und ich sehe
(ich werde jetzt immer ›sehen‹ sagen, obwohl meine erste
Feststellung weiterhin gilt) eine sehr hohe Leiter und unzählige Menschen, die wie Ameisen alle in einer Reihe an ihr emporklettern.
Ich beginne zu klettern, und ich tue es nicht auf die übliche
Weise, sondern an der Seite der Leiter, wobei ich den Holm
zwischen die Beine nehme und einen Fuß von vorne und den
anderen von hinten auf die Sprossen setze. Ich fühle den
Holm zwischen meinen Lenden, was mich an Radfahren
erinnert. Ich habe keine andere Wahl, hier bin ich, auf einem
Fahrrad.
Fort sind Berg, Leiter und Menschen. Ich fahre auf dem
Fahrrad durch eine Straße mit starkem Verkehr. Ich habe das
Gefühl, daß ich mich zwischen Menschen und sehr schnell
fahrenden Fahrzeugen bewege. Es entsteht ein großes
Durcheinander. Ein rasender Zug taucht auf und saust auf
einen Tunnel zu. Er fährt durch ihn hindurch und reißt dabei
das Firstgewölbe ab. So ist der Zug jetzt mit einer Hülle
bedeckt, wie ein Riesenkäfer; der läuft und läuft und geht
durch alles hindurch, was ihm in die Quere kommt. Und statt
über die Brücke zu fahren, saust er unter ihr dahin. Es ist, als
wollte der wahnsinnige Lokomotivführer durch jedes Loch,
das er nur entdecken kann.
Wir aber müssen zum Berg zurück. Die Zeit verläuft jetzt
wieder normal, das wahnwitzige Gedränge der vorigen Szene
hat sich gelegt. Es sind jetzt überhaupt keine Menschen da,
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und ich beginne den Berg zu besteigen. Die Leiter ist genau
so hoch wie der Berg, und als ich nach der letzten Sprosse
greife, berühre ich den Rand des Berggipfels. Der Rand ist
sehr bröckelig, also gibt es für mich keine andere Lösung, als
auf dem Bauch hinüber zu kriechen, wie ein Reptil. Denn der
Berg ist hohl.
Ich überlege gerade, wie ich am besten nach unten gelange,
da tauchen plötzlich seltsame Wesen auf. Sie kommen die
Wände hochgeklettert. Sie sehen wie Riesenratten aus, haben hervorquellende Augen und Spinnenbeine. Sie blicken mich an und setzen ihren Weg nach oben fort, wo sie am
Rand entlang wandern.
Ich liege auf dem Bauch wie ein Wurm und krieche nun
vorwärts. Ich bin schon ein beträchtliches Stück hinabgelangt. Ich kann nicht widerstehen, noch einmal nach oben zurückzublicken zu der Stelle, durch die ich hineingelangt
war. Doch da sehe ich mich selbst, wie ich von oben über den
Rand hineinblicke. Ich steige immer weiter hinunter, da zeigt
sich mir ein dantesches Bild: Unten am Grund liegt ein Meer
aus Feuer, umgeben von einem Strand aus weißem Sand, der
das Feuermeer wie ein Ring umschließt. Der Boden, auf dem
ich mich jetzt befinde, ist trocken und rauh. Ich weiß nicht,
wie ich auf den Strand und auf die Beine gekommen bin.
Ich betrachte den Anblick. Ich staune - ein feuriges Meer.
Was für ein seltsames Gemisch aus Feuer und Wasser: Das
Wasser löscht das Feuer nicht, und das Feuer läßt das Wasser
nicht verdampfen. Die feurigen Wellen, die sich kurz vor
dem Ufer brechen und es liebkosen, verwandeln sich in kristallklares frisches Wasser.
Langsam nähere ich mich ihnen. Ich kann den Schaum sehen.
Ich berühre ihn und gehe ins Wasser. Es ist frisch, erfrischend, sehr erfrischend.
Ich werde angewiesen, mich dem Feuer zu nähern. Ich habe
Angst zu verbrennen, obwohl mir etwas in meinem Innern
sagt, daß ich nicht verbrannt werde. Ich frage mich, warum
ich mich in diesem Berg befinde. Warum bin ich hier? Zu
welchem Zweck? Und ich möchte am liebsten umkehren.
Doch Dr. N. besteht darauf: ›Versuchen Sie, durchs Feuer zu
gehen. Kommen Sie dabei um. so ist das nur eine Illusion; sie
könnte sich als lohnend erweisen.‹
Ich schreite weiter, das Wasser reicht mir jetzt bis zu den
Hüften. Jetzt komme ich mit dem Feuer in Kontakt. Eine der
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Wellen berührt, ehe sie bricht, meine Beine, und weit davon
entfernt, mich zu verbrennen, kitzelt sie mich.
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