Die Reise zum Ich
individuelle Veranlagung hinaus kann auch
Übung für die fruchtbare Harmalin-Erfahrung den Boden bereiten - Übung in der Beobachtung mentaler Vorgänge, wie die meisten Formen von Psychotherapie sie betreiben, und insonderheit Übung im aktiven Imaginieren. Diese Patientin verfügte, nachdem sie durch eine Psychoanalyse und eine Reihe von gesteuerten Tagträumen vorbereitet worden war, über
beides.
Obwohl viele Harmalin-Erfahrungen spontan eintreten, bedarf
auch die spontane Erfahrung günstiger Voraussetzungen. Dies
ließ sich an den während der unproduktiven und unerfreulichen
Sitzungen zweier Analysanden aufgezeichneten Elektroenzephalogrammen erkennen, die ganz anders ausfielen als bei produktiven und angenehmen Sitzungen, die sich im üblichen Rahmen bewegten. Ebenso dürfte das Vertrauen zum Therapeuten und der Rapport mit ihm eine wichtige Rolle spielen, denn es
hat sich gezeigt, daß Personen, die weniger inhaltsträchtige
Erfahrungen hatten, durchweg auch bei der vorbereitenden
Befragung weniger kommunikativ gewesen waren.
Bei der Behandlung mit Harmalin sollte die Hauptfunktion des
Therapeuten meiner Ansicht nach im Zuhören bestehen. Probanden, die sich freiwillig für Harmalin-Versuche zur Verfügung stellten, wurden unabhängig davon, ob sie es aus persönlichem Interesse taten oder aus anderen Gründen, von uns angewiesen, über ihre Wahrnehmungen zu berichten, so daß sie auch dann, wenn sie zeitweilig verstummten, bemüht waren,
ihre Reaktionen geistig zu kontrollieren. Hierbei machte ich
einige stichprobenartige Versuche, indem ich ab und an aufhörte, ihnen Fragen zu stellen, mich in den Nebenraum begab und sie anwies, die nächste halbe Stunde ganz zwanglos zu
verbringen, ohne Rücksicht auf eventuelle Mitteilungen. Nach
den ersten dreißig Untersuchungen dieser Art verabfolgte ich
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auch anderen Personen Harmalingaben ohne die üblichen Instruktionen, ihre Wahrnehmungen im Hinblick auf Berichterstattung möglichst aufmerksam zu verfolgen und sich einzuprägen. Ich hatte den deutlichen Eindruck, daß sie sich weit weniger zu erinnern vermochten, was in ihnen vorgegangen war -
ausgenommen jene, die ich, nachdem sie anscheinend in ein
Stadium höchster visionärer Erfahrung gelangt waren, sich
selbst überlassen hatte.
Wird umgekehrt diese höchst produktive Ebene nicht erreicht,
scheint Wachsamkeit eher dazu geeignet, sie herbeizuführen,
als das passive Hinnehmen. Diese Wachsamkeit kann man
durch Kommunikation fördern. Vor allem bat ich die betreffenden Personen, auch ihre körperlichen Empfindungen zu verzeichnen, da dies dem natürlichen Hang, sich lethargisch fragen zu lassen und den Harmalin-Traum zu vergessen, wie es meist
mit unseren nächtlichen Träumen geschieht, entgegenwirke.
Der Vorzug des Harmalin scheint in erster Linie in der Herbeiführung einer Integrierung von Bewußtsein und Unterbewußtsein zu bestehen, die eine Deutung der Bilder im Wachzustand erleichtert. Läßt die Wachsamkeit nach, versinken die geschauten Vorgänge gleicherweise im Unterbewußten wie
beim normalen Schlaf oder im gewohnten »Wachzustand«.
In manchen Fällen indes laufen die visuellen Erlebnisse oder
Empfindungen so spontan und gehaltvoll ab, daß nur geringe
oder gar keine Nachhilfe des Therapeuten erforderlich ist. Aus
anderen Fällen wiederum läßt sich ersehen, daß eine gewisse
Lenkung oder Führung den Analysanden an einen Punkt zu
bringen vermag, an dem die erwünschte Ergiebigkeit erreicht
wird.
Beim nächsten Fall, den ich hier anführe, war es der gelenkte
Tagtraum, der die Kreativität des Analysanden kanalisierte.
Dieses Vorgehen erwies sich verschiedentlich als höchst fruchtbar, da es einen Rahmen lieferte, in den sich die Gefühle und Wahrnehmungen des Analysanden transponieren und einfügen
ließen, so daß sie schließlich gedeutet werden konnten. Ich bin
gewöhnlich dem Grundschema desoilles gefolgt (Aufstieg,
Flucht, Sturz in den Ozean), da es gewissen grundlegenden
Verhaltensweisen
entspricht
(Anstrengung,
Freiheitsstreben,
Sturz ins Unbekannte) und ähnlich wie die Deutung der Standardbilder
eines
projektiven
Tests
dem
Psychotherapeuten
einige Aufschlüsse gibt über die individuelle Veranlagung der
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einen Person im Vergleich zu anderen, wenn es um die gemeinsame Entwicklung eines Themas geht.
Zur Erläuterung gebe ich hier die vollständige Schilderung
einer Sequenz wieder. Der Patient ist vierunddreißig Jahre
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