Die Reise zum Ich
vier
Gestalttherapie-Sitzungen
teilgenommen
und
wie
gefordert,
seine Lebensgeschichte niedergeschrieben. Fünfundvierzig Minuten nach Einnahme der Droge meldete er das Eintreten einer tiefen Entspannung und äußerte den Wunsch, sich auf der
Couch auszustrecken. Er legte sich nieder, faltete Arme und
Beine übereinander, schloß die Augen und lauschte der Musik
einer Platte, die er selbst mitgebracht hatte. Jeder Ton der
Musik schien ihm von einer Reinheit und Eindringlichkeit, wie
er es noch nie zuvor wahrgenommen habe.
Als er die Augen öffnete, war er überwältigt von der Schönheit
und dem Detailreichtum der Gegenstände im Raum, die ihm
ebenfalls ganz neu erschienen. Dann sah er sich die Fotos in
dem Band Family of Man an, der neben seiner Couch lag; er
gewann dabei tiefe Einsicht in die Bedeutung des Dargestellten
wie auch in seine eigenen Einstellungen dazu. Dann verlangte
es ihn, sich erneut hinzulegen, und als er die Augen schloß,
verfiel er in einen Wachtraum: Er sah seinen Vater Gesichter
schneiden, wie im Spiel, und heiter dabei lächeln. Sein Kommentar: So müsse ihm sein Vater erschienen sein, als er ein kleiner Junge war. Dann aber änderte sich der Ausdruck seines
Vaters: Sein Gesicht war plötzlich von Wut verzerrt. Jetzt erschien eine nackte Frau mit runden Hüften, die ihr Gesicht mit ihren Armen verbarg, und dann fiel sein Vater, ebenfalls nackt,
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über sie her, um in sie einzudringen. Er spürte, wie die Frau, die
er nun als seine Mutter identifizierte, ihre Wut unterdrückte.
Diese Sequenz wählte ich als Ausgangspunkt und forderte den
Analysanden auf, die beiden miteinander sprechen zu lassen.
Dies ist ein Mittel, um dem Patienten den latenten Inhalt der
Bilder bewußt zu machen. »Was sagt sie?« - »Geh weg!« -
»Was empfindet er?« Das konnte der Analysand nicht imagi-
nieren. »Wahrscheinlich ist er verblüfft«, meinte er. Dies war
der rechte Augenblick, einen weiteren Schritt in der gleichen
Richtung zu tun, das heißt, er sollte nun dieses Traumbild zur
Entfaltung bringen und seine komprimierte Bedeutung in den
Bereich des Fühlens und des Handelns übertragen. »Seien Sie
jetzt Ihr Vater«, sagte ich. »Verwandeln Sie sich mit all Ihrem
schauspielerischen Vermögen in Ihren Vater und lauschen Sie,
was Ihre Mutter zu ihm gesagt hat.« Jetzt fühlte er sich imstande, seinen Vater zu personifizieren: Er war nicht »verblüfft«, sondern empfand tiefen Kummer und Zorn über ihre Zurückweisung. Am Tage darauf schrieb er nieder:
»Ich sehe meine Mutter als hart, ohne jede Zuneigung und
voller Ängste, und ich sehe in meinem Vater nicht mehr
jenen gefühllosen Menschen, der ihr mit seinen Liebesaffären weh tut, sondern jenen Mann, der das Tor zu ihrer Liebe vergebens zu öffnen versuchte. Dennoch habe ich Mitleid mit
meiner Mutter.«
Es folgte nun ein seltsamer Wachtraum: Er selbst wird von
einem Löwen beleckt, der sich in eine Löwin verwandelt, die
ihm die Genitalien abbeißt und ihn als leblose Puppe zurückläßt. An diesem Punkt erhob er sich von der Couch, wanderte umher, ging in den Garten, wo alles für ihn aussah, »als hätte es
zuvor nicht existiert«. Er kehrte ins Zimmer zurück, legte strawinskis Sacre du printemps auf, und schon bei den ersten Klängen verspürte er den Drang, sich im Rhythmus der Musik zu bewegen.
Und so hat er die Drogenerfahrung später beschrieben:
»Nach und nach ergab ich mich dem Rhythmus der Musik
und begann, wie ein Besessener zu tanzen. Ich fühlte mich
ausgeglichen, expressiv, und was das Wichtigste war, ich
fühlte mich als ich selbst. Doch einmal blickte ich zufällig in
den Spiegel und sah, daß meine Hände sich auf eine konventionelle, nicht von der Musik inspirierte Weise bewegten. Ich ärgerte mich darüber. Als die eine Seite der Platte zu Ende
war, drehte ich sie um und tanzte weiter. Ich spürte keine
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Müdigkeit, und die Bewegung machte mir große Freude.«
Nun schlug ich ihm vor, einen Traum durchzuarbeiten, den ich
hier allerdings nicht wiedergebe, obwohl er für den Analysanden insofern von Wichtigkeit war, als er sein Selbstwertgefühl stärkte. Nach diesem Traum betrachtete er die Familienfotos,
die er mitgebracht hatte, was dazu beitrug, sein Verhältnis zu
Vater und Mutter zu klären. Vier Stunden nach Auftreten der
ersten Symptome merkte er, daß die Ibogain-Wirkung weitgehend abgeklungen war. Er unterhielt sich mit ein paar Freunden, die mal hereinschauten.
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