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Die Reisen des Paulus

Die Reisen des Paulus

Titel: Die Reisen des Paulus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernle Bradford
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erfahren, meist durch sein eigenes Volk. Und jetzt war er immerhin weit über fünfzig. Er wandte sich an den verantwortlichen Hauptmann mit der Frage: »Dürft ihr einen Menschen, der römischer Bürger ist, ohne Urteil gei-
    ßeln?«
    Der andere reagierte sofort. Mit heller Angst. Das römische Bürgerrecht war so kostbar und so selten, daß dieser Hauptmann und die einfachen Legionäre es wohl kaum besessen haben dürften. Sofort wurde Lysias verständigt. Dieser Jude, den sie hatten geißeln sollen, sei Civis Romanus.
    Besser als die Apostelgeschichte kann man es nicht sagen:
    »Da kam zu ihm der Oberhauptmann und sprach zu ihm: Sage mir, bist du römischer Bürger?«
    »Ja«, lautete die Antwort. Kein Zweifel, Claudius Lysias blickte diesen ältlichen, durchgeprügelten Juden, der Blut-spuren am Körper trug und Narben von vielen Auseinandersetzungen davor, mit einigem Erstaunen an. Römische Bürger waren schließlich die Herren der Welt – und es gab wenig genug davon. Er selbst hatte sich das römische Bürgerrecht erst nach einer langen und mühsamen Militärkarriere erkaufen können. Doch dieser Mann, den er um Haares-breite hätte schlagen lassen, war, wenn man seinen Worten trauen durfte, römisch geboren. Wie wir bereits sagten, hatte Paulus sicher ein Dokument, um sich auszuweisen, einem modernen Paß ähnlich. Der Mann war offensichtlich hoch-gebildet. Er sprach Lateinisch, Griechisch und dieses ver-fluchte Aramäisch. Bis seine Behauptung bewiesen war, behandelte man ihn besser nicht wie einen von diesen lästigen Provinzlern, die immer irgendwelchen Lärm um ihre Religion machten. Lysias ließ ihn sofort von den Fesseln befreien, 329
    behielt ihn aber aus Sicherheitsgründen weiter in Gewahrsam. Und dann kam er zu dem logischen Schluß, es solle ihm gestattet sein, am nächsten Morgen seinen Anklägern gegenüberzutreten. Soweit er sehen konnte, handelte es sich hier um nichts Politisches, um keinen Verstoß gegen die rö-
    mischen Gesetze, sondern wieder einmal um diese fürchter-liche Religion.
    *
    35
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    Am Tag darauf stand Paulus vor dem vollständig ver-
    sammelten Hohen Rat. Eines der dramatischsten Er-
    eignisse der Geschichte. Hier war er also, der Mann, der alles getan hatte, um ihre Autorität zunichte zu machen, und der jetzt scheint’s auch versuchte, gegen das Römische Reich anzurennen. Gewiß, sie haßten die Fremdherrschaft, und sie haßten es, im eigenen Lande als Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden – aber dergleichen war auch schon ihren Vorfahren geschehen. Immerhin hatten sie stets und ständig an einem festgehalten: daß ihr Glaube der einzig wahre Glaube sei. Sehr widerwillig hatten sie diesen Nebensproß der Messiasgläubigen geduldet, an deren Spitze Jakobus der Gerechte stand. Man konnte Jakobus kaum etwas vor-werfen. Er fügte sich bedingungslos und in jeder Beziehung dem Gesetz und war ein ebenso guter Jude wie sie, daran gab es nichts zu deuteln. Nur eins stimmte nicht mit ihm: Er behauptete, sein Bruder sei der Messias gewesen, den die Propheten verheißen hatten. Dieser Saul dagegen – oder Paulus, wie er sich offenbar lieber nannte, dieser suspekte Jude aus Tarsus (kein ganz echter, soviel sie wußten, denn er stammte aus einer römischen Familie) –, mit dem verhielt es sich ganz anders.
    Er erregte gleich zu Anfang ihren Zorn, indem er sie mit »liebe Brüder« ansprach, obwohl ihnen der Titel »Ihr Ältesten von Israel« gebührte. Und dann fuhr er fort und behauptete, er habe ein rechtschaffenes Leben geführt und sei reinen Gewissens. Rechtschaffenes Leben? Reinen Ge-331
    wissens? Und das aus dem Munde eines Mannes, der in der ganzen Welt eine verderbte und verfälschte Fassung des jüdischen Glaubens verbreitet, unter Heiden gelebt, wahrscheinlich auch »das Andere« gegessen und, soviel sie wußten, mit Heidenweibern in unaussprechlichen Tempeln Unzucht
    getrieben hatte! Der Hohepriester befahl verständlicherweise, man solle ihm auf den Mund schlagen, weil er gelä-
    stert habe. Darauf sagte Paulus zum Hohenpriester: »Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand!« Denn dieser Befehl war wider das Gesetz. Und die »getünchte Wand« eine schwere Beleidigung. Denn man tünchte nur Gräber, die Lehmhütten der Armen und die Aborte. Man beschuldigte ihn, er habe den Hohenpriester Gottes verunglimpft. Er erwiderte, er habe nicht gewußt, daß dies der Hohepriester sei. Und in ironischer Zerknirschung fügte er hinzu, er

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