Die Reisen des Paulus
natürlich auch in seiner Heimatstadt Tarsus. Die Rückkehr ins Vaterhaus wird kaum erfreulich gewesen sein. Als guter Pharisäer war er fortge-gangen, als Abtrünniger kehrte er zurück, als Anhänger einer Lehre, die für seinen Vater (falls er überhaupt noch lebte) Anathema gewesen sein muß, ebenso für seine übrigen Verwandten und früheren Freunde. Wahrscheinlich erduldete er in dieser Zeit, mag er sie nun in Tarsus oder anderswo verbracht haben, um seines Glaubens und um der feurigen Verkündung dieses Glaubens willen öfter als einmal die entsetzliche Strafe der Geißelung. Im Jahre 56n. Chr.
schreibt er, er sei fünfmal gegeißelt worden. In der Apostelgeschichte steht nichts darüber. Man darf wohl annehmen, daß einige von den Geißelungen oder alle in die Zeit fallen, die historisch nicht belegt ist. Paulus muß, abgesehen von seiner großen psychischen Ausdauer, ungeheuer stark gewesen sein, berichtet er doch selbst, er habe fünfmal die volle Strafe ausgestanden, fünfmal »vierzig Streiche weniger einen«. Meistens wurde der Delinquent schon nach einigen Hieben ohnmächtig. Oft kam es auch vor, daß die Richter der Meinung waren, der Mann habe genug gelitten, und ihm den Rest der Strafe erließen. Paulus war wie in allen anderen Dingen fest entschlossen, bis zum Ende auszu-harren.
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Daß Paulus so oft bestraft wurde, lag vielleicht nicht nur an seinem Glauben, Christus sei der Messias gewesen, sondern auch daran, daß er begonnen hatte, mit Nichtjuden zu verkehren. Gewiß disputierte er mit ihnen in Tarsus und mußte daher auch dem lauschen, was sie glaubten. Es gab das simple Heidentum, es gab die Kaiserverehrung und außerdem zahlreiche Philosophien und Mysterienreligionen. Die Mysterienreligionen waren in ganz Kleinasien und in Nahost verbreitet (wo auch die meisten ihren Ursprung nahmen) und drangen sogar, wie wir bereits hörten, zu Tiberius’ Ärger bis nach Rom vor. Wieviel Paulus von diesen Kulten in sich aufnahm, ist ein Gegenstand, über den sich die Gelehrten ständig gestritten haben. Bis zu einem gewissen Grad dürfte er jedoch das geistige Klima seiner Umgebung in sich aufgesogen haben – und sei es auch nur durch Osmose. Einer der am weitesten verbreiteten Mysterienkulte – »Mysterienkulte« deshalb, weil sie die Einweihung in Geheimnisse erforderten, die nur der Gläubige wissen durfte – war der Kult der ägyptischen Göttin Isis. Im 1. nachchristlichen Jahrhundert war die Isisreligion im Aufstieg begriffen. Fast überall in der römischen Welt gab es Isistempel.
Isis, ihr Gemahl Osiris und ihr göttlicher Sohn Horus bildeten eine heilige Dreifaltigkeit, was fast alle Sehnsüchte und Neigungen des menschlichen Herzens befriedigte. Herrlich wird die Göttin in einer Isis-Hymne beschrieben:
Ich bin Isis, die Herrin aller Länder. Hermes lehrte mich, und mit Hermes ersann ich die Schrift, die heilige Schrift und die Schrift des Volkes, auf daß alles geschrieben werde mit der gleichen Schrift. Ich gab und befahl den Menschen Gesetze, die niemand zu ändern vermag.
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Ich bin des Kronos älteste Tochter. Ich bin Gemahlin und Schwester des Königs Osiris. Ich bin’s, die den Menschen Früchte findet. Ich bin die Mutter des Königs Horus. Ich bin’s, die den Sirius emporhebt, die Göttin genannt wird von den Frauen. Für mich ward die Stadt Bubastis erbaut.
Ich schied die Erde vom Himmel. Ich wies den Sternen den Weg. Ich setzte fest den Lauf der Sonne und des Mondes. Ich schuf die Tätigkeit der See.
Ich machte stark den Mann. Ich führte Weib und Mann zusammen. Ich bestellte die Frauen dazu, daß sie im zehnten Monat ihre Kinder gebären. Ich bestimmte die Kinder, ihre Eltern zu lieben. Ich legte denen Strafen auf, die den Eltern keine Liebe erweisen. Ich machte mit meinem Bruder Osiris dem Menschenfressen ein Ende. Ich offenbarte den Menschen Geheimnisse. Ich lehrte die Menschen, daß sie die Bilder der Götter ehren. Ich weihte die Bezirke der Götter.
Ich brach die Herrschaft der Tyrannen. Ich machte dem Morden ein Ende. Ich bestimmte die Frauen, der Männer Liebe anzunehmen. Ich machte das Recht stärker als Gold und Silber. Ich befahl, daß das Wahre gut geheißen werde.
Ich ersann die Eheverträge. Ich gab den Griechen und Barbaren ihre Sprache. Ich trug Sorge dafür, daß man das Schö-
ne vom Schändlichen unterscheide. Ich befahl, daß man nichts mehr scheuen solle als den Eid. Ich habe den, der Übles gegen andre sinnt, überantwortet jenen, wider die er
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