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Die Reisen des Paulus

Die Reisen des Paulus

Titel: Die Reisen des Paulus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernle Bradford
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neueren Aktivitäten in Damaskus war wohl noch nicht bis nach Jerusalem gedrungen.
    Der Mann, der sich als erster davon überzeugen ließ, daß Paulus es ernst meinte, wurde auch sein Reisegefährte und engster Freund (später gingen sie allerdings im Streit auseinander). Er hieß Barnabas, stammte aus Zypern und war ein freundlicher und geachteter Mensch, dem niemand Arg-list oder heimliche Absprachen mit einem Christenfeind unterstellen konnte. Barnabas machte Paulus mit dem Apo-136
    stel Petrus bekannt. Und nun hörte Paulus aus dem Munde des einfachen galiläischen Fischers einen authentischen Bericht über das Leben und die Lehre seines neuen Herrn und Meisters. Petrus war verheiratet und nahm Paulus bei sich auf. Er und seine Frau kümmerten sich in den nächsten beiden Wochen um den Konvertiten. Die zwei Männer waren zwar sehr verschieden, besaßen aber doch gewisse Gemein-samkeiten: Paulus hatte die Christen verfolgt, Petrus hatte seinen Meister dreimal verleugnet.
    Paulus blieb also bei ihnen »und ging ein und aus zu Jerusalem und predigte mit Freimut im Namen des Herrn Jesus«. Nach der Bekehrung auf der Straße nach Damaskus, nach drei Jahren der Vertiefung seiner Kenntnisse und der Meditation war Paulus in seinen Überzeugungen gefestigt.
    Tag für Tag von Petrus zu erfahren, was wirklich zu Jesu Lebzeiten gesagt und getan worden war, bedeutete eine zu-sätzliche Offenbarung. Die mündliche Überlieferung der Juden, die Genauigkeit des Gedächtnisses, die ihnen abverlangt wurde, implizierte, daß das, was Paulus hörte und später lehrte, keinesfalls Paraphrase war. Der Mensch der Neuzeit, daran gewöhnt, unaufhörlich von Informationen aus zahllosen Medien überflutet zu werden, kann sich kaum vorstellen, wie exakt die Informationen waren, die ein hervorragend geübtes Gedächtnis übermittelte.
    In manchen sogenannten unterentwickelten Gebie-
    ten werden bis zum heutigen Tage ganze Genealogien, Historien und Sagas mündlich überliefert. Im Laufe der Zeit mögen sich einige Fehler einschleichen, gewiß aber nicht mehr als die Druckfehler in Büchern. Was Paulus von Petrus erfuhr, war fast so exakt wie eine moderne Tonband-137
    aufnahme. Nun weiß man ja, daß man Tonbänder zusam-
    menschneiden, löschen und auf andere Weise manipulieren kann – doch die Worte, die Petrus sprach, dürften völlig authentisch gewesen sein. Er war kein gedächtnisschwacher Greis, sondern gleichaltrig mit Paulus oder ein wenig älter.
    Die Tragödie ist die, daß nicht mehr schriftlich festgehalten wurde, denn, so schreibt Johannes im Schlußkapitel des gleichnamigen Evangeliums, »es sind auch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn sie aber sollten eins nach dem andern geschrieben werden, achte ich, die Welt würde die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.«
    Paulus, der felsenfest davon überzeugt war, daß er den wiederauferstandenen Herrn in seiner Vision erblickt habe, sprach jetzt täglich mit dem Mann, der mit Jesus gelebt und ihn – wie so viele andere – nach seiner Kreuzigung, nach seinem Tode und nach seiner Auferstehung gesehen hatte. Er beanspruchte die gleiche Erfahrung für sich, obwohl er den Messias im Gegensatz zu den Aposteln nicht »dem Fleische nach« kannte. Er behauptete also, ihnen ebenbürtig zu sein – aber war er es wirklich? Wir können diese Frage nicht beantworten. Verständlich, daß Paulus, von Natur aus ehrgeizig, ihnen ebenbürtig sein wollte. Doch ehrgeizig zu sein heißt nicht notwendigerweise, man erstrebe Reichtum, Ruhm und irdische Güter. Künstler aller Sparten haben Hunger gelitten, sind arm gestorben oder haben unter Bedingungen gelebt, die den meisten anderen erbärmlich vorgekommen wären, um ihre Auffassung von der Schönheit oder von der Wahrheit zu gestalten. Dies ist ein ideali-stischer Aspekt, der den Menschen qualitativ vom Tier ab-hebt.
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    Es kann jedenfalls keinen Zweifel daran geben, daß Petrus den Bericht des Paulus über sein Bekehrungserlebnis voll und ganz akzeptierte. Er hatte keine Ursache, es nicht zu glauben. Damals war die naturwissenschaftliche Methodo-logie noch kaum ins Bewußtsein der Menschen gedrungen.
    Das Konzept, etwas müsse mit formalen Mitteln bewiesen werden, beispielsweise durch mathematische Analyse, kannte man nicht. Erst in den letzten Jahren, fast zwei Jahrtausende später, wird der naturwissenschaftliche Ansatz hie und da in Frage gestellt. Der simple Materialismus des 18. Jahrhunderts, jenes höchst unvernünftigen

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