Die Reisen Des Paulus
bestand darauf, sich zu ihrer Zeit zugetragen hätten.
Lukas war fast sicher mit dabei, denn die Schilderung in der Apostelgeschichte ist so lebensvoll, daß sie nur von einem Augenzeugen stammen kann. Und mag sie auch Lukas nicht geschrieben haben, es handelt sich jedenfalls um einen hervorragenden Berichterstatter. Statt diese Szene ausführlich nachzuerzählen, verweisen wir besser auf die Kapitel 25
bis 27 der Apostelgeschichte. Es wäre recht vermessen, es besser machen zu wollen als ihr Verfasser mit seinem knappen Stil und seiner Autorität. Kurz und gut, Felix trug der Zuhörerschaft die Anklagen vor, die gegen Paulus erhoben wurden, und erklärte, dieser habe es abgelehnt, sich in Jerusalem zu verantworten, und wolle sich an den Kaiser wenden. Er, Felix, könne sich nicht die Ansicht zu eigen machen, daß der besagte Mensch den Juden oder dem Reich etwas Schlimmes oder Böses zugefügt habe. Dann wandte sich Agrippa an Paulus: »Es ist dir erlaubt, für dich zu reden.« »Da reckte Paulus die Hand aus« – seine charakteristische Geste – und begann zu sprechen. Er erzählte seine ganze Lebensgeschichte, von seiner pharisäischen Herkunft, seiner maßgeblichen Rolle bei den Christenverfolgungen, 340
seiner Vision auf der Straße nach Damaskus. Von diesem Augenblick an habe er sein ganzes Leben dem Aufbau von Gemeinden in Kleinasien und Griechenland gewidmet. Juden und Heiden hätten den Glauben angenommen, daß ein Mann namens Jeschua nicht nur der Erwählte Gottes, sondern der Sohn Gottes gewesen sei. Das Ende der Welt sei nahe herbeigekommen – jedenfalls das Ende der materiellen Welt des Römischen Reiches –, und dem würde das Got-tesreich folgen, das die Propheten Israels verheißen hatten.
Als von der leiblichen Auferstehung des Messias die Rede war, wurde es Festus zu viel. Er rief: »Paulus, du rasest!« Er hielt ihn also für verrückt, aber er anerkannte Paulus’ Intelligenz und Belesenheit in den prophetischen Schriften, und deshalb fügte er hinzu: »Das große Wissen macht dich rasend.«
Bernice war uninteressiert, Agrippa leicht gelangweilt, Festus wütend über diese Irren, die er regieren sollte. Neben ihm saß das Paar, dem er wohl oder übel Respekt erweisen mußte, und vor ihm stand jener Wahnsinnige im zerlump-ten Gewand und redete verzückt über einen gekreuzigten Verbrecher, der, so schien’s, alle Voraussagen der alten jüdischen Propheten erfüllt hatte – was ihn offenbar gleich zum Erlöser der ganzen Menschheit machte. Andererseits gab es nicht den geringsten Grund, ihn einzusperren.
Agrippa und seine Schwester und Frau sagten ebenfalls, er habe kein jüdisches und kein römisches Gesetz gebrochen. Eigentlich konnte er gehen – als freier Mann. Doch ärgerlicherweise hatte er sein Recht geltend gemacht und an den Cäsar appelliert. Wie Agrippa ganz richtig zu Festus sagte, als sie aus der Halle gingen: »Dieser Mensch hätte 341
können losgegeben werden, wenn er sich nicht auf den Kaiser berufen hätte.«
Und so machte sich Paulus auf, begleitet von Lukas und Aristarchus, einem griechischen Konvertiten aus Thessalonich, und bewacht von der Macht Roms in Gestalt des Hauptmanns Julius. Die Seereise begann in Myra und endete mit dem berühmtesten Schiffbruch der Geschichte auf der Insel Malta – oder Melita, »Honig«, wie sie die Griechen nannten. Die Insel war damals wie heute bekannt für ihren ausgezeichneten Honig, den die Bienen aus den zahllosen Kräutern und Gräsern gewinnen, die an den felsigen Hängen wachsen. Vierzehn Tage lang hatte sie der Eurakylon schon von Kreta aus durchs Mittelmeer geblasen. Mitternacht rückte näher. Der Ausguck am Bug hörte vor sich das Rauschen einer Brandung. Man lotete den Grund aus. Das Wasser wurde immer seichter – erst 40 Meter, ein Stück-chen weiter nur noch 30 Meter. Davon abgesehen wußten die Matrosen dank ihrer seemännischen Erfahrung, daß sie sehr rasch auf Land zufuhren. Vor sich hörten sie dumpfes Brausen und Zischen. Die Nacht scheint zwar dunkel, der Himmel bewölkt gewesen zu sein, aber vielleicht konnten sie schwach den Umriß der Küste ausmachen. Man hat endlos darüber spekuliert und debattiert, wo dieser Schiffbruch sich ereignet haben könnte. Eine Zeitlang erwägte man sogar, Paulus sei auf der Insel Meleda in der Adria gestrandet.
Kein Zweifel, das war völlig falsch. Es bedarf nicht einmal päpstlicher Verlautbarungen, um nahezulegen, daß die fragliche Insel tatsächlich Malta war. Hören wir
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