Die Reisen Des Paulus
Wenn man zu den Göttern oder Göttinnen betet, etwa zur Isis, der Himmelskönigin, oder zu ihrem Gemahl Osiris oder zu ihrem Sohn Horus, folgt darauf kein unmittelbar ersichtliches Ergebnis. Diese Götter sind weit entrückt. Sie können Trost spenden oder scheinbar auf eine Gabe antworten, doch für gewöhnlich ergibt sich aus den Gebeten kein faßbares Resultat. Den Pharao dagegen sieht man, zumindest ist seine Herrschaft für jeden deutlich wahrnehmbar. Man kann es ihm zuschrei-
ben, wenn die Zeiten gut sind, wenn im Lande Friede, Recht und Ordnung herrschen. Kommt es aber zu Hungersnot oder Dürre, tritt der Nil über die Ufer, so kann einzig und allein der Pharao veranlassen, daß die königlichen Kornspeicher geöffnet werden und das Volk mit Nahrung versorgt wird. Durch sein Leben und seine Taten lenkt er die Aufmerksamkeit auf sich, und seine Macht steht jedem vor Augen. Er kann zum Tod verurteilen, und er kann Gnade walten lassen. Er hat alle Gewalt über seine Untertanen.
Wenn nun die meisten dieser Untertanen ungebildete Bau-42
ern sind, nimmt es nicht wunder, daß der Pharao, glanzvoll entrückt, von Priestern und Ratgebern umringt, durch das Heer, über das er gebietet, ins Riesenhafte gesteigert, durch die Werke erhöht, die Baumeister und Künstler für ihn geschaffen haben, gottgleiche Qualitäten erlangte. Die Römer der alten Republik waren von Herzen froh, daß es keine rö-
mischen Könige mehr gab. Für sie wäre die Vergötterung eines lebenden Menschen undenkbar und unerträglich gewesen. Doch das begann sich schon vor Augustus zu ändern. Julius Cäsar war nach seinem Tode zur Gottheit erhoben worden, und von da an wurde die Kaiserverehrung fester Bestandteil des römischen Systems. Das mag sich or-ganisch entwickelt haben, aber es paßte ganz und gar nicht zu den altrömischen Vorstellungen. In gewisser Weise war die Kaiserverehrung zum großen Teil von Ägypten entlehnt, durch Cäsar aus seiner Liebschaft mit Kleopatra übernommen. In Ägypten, genauer gesagt, im hellenistischen Alexandrien, hatte Cäsar die Aura von Göttlichkeit beobachten können, die die ägyptische Königin umgab. Die makedoni-schen Herrscher Ägyptens hatten sich das Vorbild der Pharaonen zu eigen gemacht. Um den Ägyptern zu zeigen, daß sie ebenso Götter und Göttinnen seien wie die alten Herrscher, hatten sie sogar den Brauch des königlichen Inzests übernommen – denn ein Gott konnte sich natürlich nicht mit gewöhnlichen Sterblichen vereinigen. Cäsar erkannte mit politischem Scharfblick, wie zweckdienlich es für einen Herrscher war, wenn sein Volk ihn als etwas Übermenschliches betrachtete. Da er behauptete, über die julische Linie von der Venus abzustammen, war es für ihn recht selbstverständlich, sich als potentiellen Gott zu sehen. Schließlich 43
hatte man auch Alexander den Großen als Gott bejubelt, und waren Cäsars Taten den seinen nicht ebenbürtig?
Nach Cäsars Tod setzte Mark Anton diese Mystik fort.
Er behauptete, von Herakles abzustammen – daraus leitete er seine Körperkräfte und seinen Erfolg bei Frauen ab.
Doch wie wir bereits hörten, ging er noch weit darüber hinaus. Als er zusammen mit Oktavian Regent des römischen Imperiums war, übernahm er nicht nur das Ostreich, sondern erbte sozusagen auch Kleopatra.
Schon bevor er der Königin in Paulus’ Geburtsstadt Tarsus begegnet war, hatte er sich übermenschliche Charakteristika zugeschrieben – er behauptete, der neue Dionysos zu sein, ein Gott, mit dem ihn besonders seine heftige Liebe zum Wein verband. Doch politisch war es durchaus gerechtfertigt, sich diesen Titel anzumaßen. Die Völker des Ostens
– und nicht nur die Ägypter – pflegten ihre Herrscher den Göttern gleichzusetzen, und Mark Anton wollte sich einen guten Stand bei ihnen schaffen, also war es klug, Anspruch auf einen göttlichen Rang zu erheben. Schließlich hatte sich schon Kleopatras Vater, Ptolemäus XII., als neuen Dionysos bezeichnet. Auch im Hinblick auf Mark Antons Be-
ziehung zu der Königin (der drei Kinder entsprossen) war es vernünftig, einen ebensolchen göttlichen Status zu fordern. Gewiß erwarteten das auch die Ägypter von ihm, war er doch der Vater von den Kindern ihrer Königin. Und so wurde die Tradition begründet, daß auch ein Römer – wie ein orientalischer Potentat – göttliche Ehren für sich bean-spruchen konnte.
Die Kaiserverehrung, die seit der augusteischen Zeit ein fester Bestandteil des römischen Imperialismus
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