Die Reisen Des Paulus
wurde für sklavische Ergebenheit geldlich und politisch reich entlohnt. Man war in der Zeit der Unruhen glimpflich davongekommen und schätzte selbstverständlich die augen-blickliche Sicherheit hoch, wenn man auf die Gefahren und Wechselfälle der früheren Herrschaftsverhältnisse zurück-blickte …« Tacitus sagt jedoch auch, daß man in den Pro-36
vinzen das Augusteische System der sterbenden Republik vorzog, die von Gefahren, Ungewißheit, Unsicherheit und dem völligen Versagen des Rechts gekennzeichnet war.
Im ganzen Reich hatten sich damals die meisten den-
kenden Menschen die Philosophie der Stoa zu eigen gemacht. Ihre Auffassung vom Leben war edel und streng. Sie anerkannten die Herrschaft eines einzigen Gottes und nä-
herten sich in mancher Hinsicht dem jüdischen Monotheismus, den der junge Paulus tagtäglich in der Synagoge in sich aufnahm. Viele von den besten Geistern Roms standen im Banne des Stoizismus. Dazu schreibt R. D. Hicks:
»Die Einführung des Stoizismus war die bedeutendste von den vielen Änderungen, die Rom erfuhr. Nach dem ersten harten Zusammenstoß mit der Mißgunst der Autoritäten wurde er bereitwillig akzeptiert und fand rasch Eingang bei den vornehmsten Familien. Sehr treffend wurde einmal bemerkt, daß die alten Helden der Republik unbewußte Stoiker waren, durch ihre Gründlichkeit, Strenge, Schlichtheit und Pflichterfüllung für den fast semitischen Ernst dieser neuen Lehre geeignet. In Griechenland erwies es sich als fataler Mangel, daß der Stoizismus für die Künste und das verfeinerte Leben so unempfänglich war, doch bei den ge-wandten Weltmännern, die sich als Advokaten oder Juristen hervortun wollten, verhielt es sich ganz anders.«
Die wichtigste Glaubensregel der Stoiker lautete, der Mensch habe die Pflicht, tugendhaft zu sein. In allen Wechselfällen des Lebens müsse er seinem Gewissen folgen und auf diese Weise werde er Gottes Willen erfüllen. Jedermann auf dieser Welt habe seine Bestimmung: Der Herrscher soll regieren, der Künstler schaffen, der Bauer für seine Mit-37
menschen das Feld bestellen, der Gesetzgeber Recht sprechen. Etwa dreihundert Jahre vor Paulus’ Geburt verlieh der stoische Philosoph Kleanthes in seiner großartigen Hymne an Zeus, den Schöpfer aller Dinge, religiösen Gefühlen Ausdruck, die selbst der orthodoxeste Jude kaum mißbilligt hätte:
»Ruhmreichster der Unsterblichen, o Zeus der vielen Namen, allmächtig du und ewig, der Herrscher der Natur, der du alles dem Gesetz gemäß lenkest, dir gebührt’s, daß alle Sterblichen sich an dich wenden … Dir gehorcht das Weltall, das sich um die Erde dreht, gehorchet alledem, was du befiehlst, und unterwirft sich freudig deiner Macht.
Ein göttlich Werkzeug hältst du in der Hand, den zwie-gezackten, feurigen, ewigen Donnerkeil, vor dem die Natur erzittert. Kein Werk auf Erden wird ohne dich geraten, o Herr, und keins im göttlichen Äther und keines auf dem Meer; und ohne dich geschieht nur das, was die Ver-worfenen in ihrer eigenen Narrheit tun. Fürwahr, du weißt das Rauhe sanft zu machen, weißt Ordnung aus dem Cha-os zu schaffen, und Widriges wird angenehm vor deinen Augen. Denn so hast du die Dinge gemacht, das Gute neben das Böse gestellt, auf daß ein ewiges Gesetz über allem walte … Erlöse die Menschen von der Unwissenheit. Banne sie, Vater, aus des Menschen Seele, gib ihm die Weisheit, mit der du alles gerecht regierest.«
Der bedeutendste Geist im Rom jener Zeit war Seneca, ein Mann, der durch seine Schriften weitreichenden Einfluß ausübte. Er vertrat einen verfeinerten Stoizismus, bezog auch ältere Lehren mit ein und gelangte so zu Konzepten, wie er sie in seiner Abhandlung Über die Vorsehung ausführte. Darin heißt es, daß dem Weisen kein wirkliches 38
Unglück zustoßen kann. Das Unglück ist nur scheinbar und von Gott gesandt, um den Menschen zum Leben zu erziehen, um ihn zu lehren, äußere Umstände gering zu achten.
Der Leib ist nichts weiter als eine Hülle, ein Gefäß – das Gefängnis der Seele, und erst nach dem leiblichen Tod kann die Seele wahrhaft zu leben beginnen. Seneca tötete sich auf Befehl Neros. Er hatte den jungen Nero unterrichtet und erzogen und alles getan, was er vermochte, um die lasterhaften Neigungen des zukünftigen Kaisers zu zügeln. Doch das schlug fehl – wahrscheinlich wäre es keinem Menschen gelungen. Unter der Herrschaft Neros starb auch Paulus. Einiges vom stoischen Gedankengut scheint Paulus geläufig gewesen
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