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Die Reisen Des Paulus

Die Reisen Des Paulus

Titel: Die Reisen Des Paulus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernle Bradford
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Taurusgebirge hinter der Stadt zahllose Banditen eingenistet und den Handel gefährdet. Und Tarsus selbst war seinen Berufsvereinigungen ausgeliefert, Pseudoinstitutionen und reinen Zweckverbänden, deren Angehörige bewaffnet waren und ihre Mitbürger terrorisierten. Augustus hatte diese Verbände im ganzen Reich aufgelöst und nur die echten, einge-tragenen Gilden bestehen lassen, die sich an die gesetzlichen Vorschriften hielten. Der Vater des Jungen – später auch Paulus selbst – gehörte einer solchen Gilde an, der Gilde der Zeltmacher. Die Gilden holten nicht nur durch Schlich-tungsverfahren und notfalls durch Streiks Vorteile für sich heraus, sondern sie setzten obendrein die Preise und Normen fest. Sie waren eine seltsame Mischung aus Handels-kammer, Gewerkschaften im heutigen Sinn und einer Art Rotary Club. Jedes Handwerk, jeder kaufmännische, akade-mische und freie Beruf hatte seine Gilde – die Flötenspieler und Obsthändler ebenso wie die Schneider und Ärzte.
    Sie wurden im ganzen Imperium gefördert, nahmen nicht nur ihre eigenen Interessen und die Interessen der Öffentlichkeit wahr, sondern wirkten auch als Stabilitätsfaktor in den vielen Städten, die jetzt in den Einflußbereich des allmächtigen Rom kamen. Eine ihrer Traditionen lebte im Mittelmeerraum bis ins 20. Jahrhundert fort: die Fiestas, mit denen jede Gilde ihren »Heiligen«, ihren Schutzpatron, feierte. An diesen Tagen zog die jeweilige Gilde durch die Stra-34
    ßen. Ihre Honoratioren schritten voraus, gefolgt von einer Musikkapelle und den übrigen Mitgliedern der Gilde, die Banner und Fahnen trugen. Wie moderne Wirtschaftsver-bände hielten sie auch Tagungen ab, auf denen über Preise, Normen und Wirtschaftsfragen diskutiert wurde. Danach wurde Wein aufgetragen, und die Tänzerinnen kamen. Wie man sieht, hat sich die Natur des Menschen seither kaum geändert.
    Weltbürgerliche Toleranz gehörte zu den wichtigsten
    und besten Zügen der augusteischen Welt. Das Griechische war Alltags- und Handelssprache, beherrschte Literatur und Philosophie und verband die Mittelmeerländer miteinander. Latein war die Sprache von Gesetz und Verwaltung, die Sprache der Herrscher und Militärs, aber wenn die Bürger dieses großartigen und immer riesiger werdenden Reiches an ihr Tagwerk gingen, bedienten sie sich des Griechischen. Am wichtigsten war die religiöse Toleranz; alle Götter und alle Glaubensbekenntnisse galten gleich viel, und obwohl einige Götter doch »gleicher« waren als andere, gab es keine Diskriminierung der einen oder anderen Religion. Nur die Juden hielten sich von ihren heidnischen Nachbarn fern und hielten die Behauptung aufrecht, daß sie das auswerwählte Volk des einen und einzigen Gottes seien, die anderen dagegen irregeleitete Götzendiener.
    Viele Jahre vor Paulus’ Geburt war das Alte Testament ins Griechische übersetzt worden (er zitierte selbst aus der griechischen Ausgabe). Man nannte diese Fassung Septuaginta, weil sie in Alexandrien von einem aus siebzig Rabbi-nern bestehenden Gremium übersetzt worden sein soll. Die Septuaginta war in großen Teilen der antiken Welt frei ver-35
    fügbar. Jeder interessierte Nichtjude konnte sich ohne weiteres mit Glauben und Gesetz der monotheistischen Hebräer vertraut machen. Wie andere orientalische Religionen, etwa der Isis-Kult, hatte auch die Religion Jahwes ihre Konvertiten unter den Griechen und Römern. Dies wurde dadurch erleichtert, daß übers ganze Reich verstreut Juden lebten, die in allen Städten, wo es eine jüdische Gemeinde gab, Synagogen errichteten.
    Oberflächlich betrachtet mutet die römische Welt, die Augustus aufgebaut hatte, erstaunlich geglückt an – sie war es auch in mancher Hinsicht. Trotzdem fanden sich Kritiker. Ihre Ansichten gibt Tacitus wieder. Obwohl er erst ein Jahrhundert nach Augustus schrieb, formulierte er vielleicht am besten die Enttäuschung, die freiheitlich denkende, an der alten Überzeugungskraft der Republik fest-haltende Männer empfanden. »Nachdem er das Heer mit
    Geschenken und die Plebs mit der Verteilung billigen Essens verführt hatte, nahm er alle durch die langersehnte Gabe des Friedens für sich ein. Doch mit der Zeit dehnte er seine Machtbefugnisse aus und griff in die Aufgaben von Senat und Beamtenschaft, schließlich auch ins Gesetz ein.
    Widerspruch regte sich nicht. Die Beherzten und Geistvol-len waren entweder auf der Walstatt geblieben oder durch Justizmord beseitigt worden. Wer vom Adel überlebt hatte,

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