Die Reisen Des Paulus
gute lateinische Prosa zu schreiben. Und muß man den Koran als unbrauchbar beiseite legen, weil ein Epileptiker ihn verfaßt hat? Viele Millionen sind keineswegs dieser Meinung. Und nun lassen wir eine Beschreibung dieser »chronischen funk-tionalen Erkrankung des Nervensystems« folgen. Bei der schweren Form oder dem eigentlichen epileptischen Anfall (dem grand mal, wie die Franzosen sagen) »stößt der Patient oft unversehens einen seltsamen, unartikulierten Schrei aus und fällt wie vom Blitz getroffen (Hervorhebung von mir.
E. B.) zu Boden. Normalerweise hat er keine Zeit mehr, sich zu schützen, stürzt und prallt gegen Gegenstände, die 113
sich in seiner Umgebung befinden, wobei er sich manchmal schwere Verletzungen zuzieht. Auch kann er ins Feuer oder ins Wasser fallen. Er wird totenblaß, der Körper wird steif, der Rücken ist hochgekrümmt, die Gesichtszüge sind starr, die Atmung setzt aus. Bald ändert sich jedoch die Hautfar-be, das Gesicht überzieht sich mit lebhaftem Rot, die Hals-adern schwellen an und pulsieren, die Augäpfel treten hervor, ein kehliges Röcheln ist zu vernehmen, der Tod scheint einzutreten. Doch fast unmittelbar darauf setzt die Atmung wieder ein, und der ganze Körper verfällt in aufeinander-folgende krampfartige Zuckungen … Nach etwa zwei oder drei Minuten hören die Zuckungen auf, der Patient liegt eine Weile erschöpft und in einem komatösen Zustand am Boden. Dann öffnet er die Augen, blickt mit benommenem Ausdruck um sich und legt sich schlafen. Beim Erwachen ist ihm nicht bewußt, was geschehen ist; möglicherweise hat er starke Kopfschmerzen oder ist verdrossen und reizbar, in seltenen Fällen fühlt er sich geistig wesentlich freier als vor dem Anfall … Zwischen den Anfällen liegen für ge-wöhnlich Intervalle, die von einigen Stunden bis zu mehreren Monaten dauern; ein sehr schwerer Zustand (der Status epilepticus ) tritt dann ein, wenn ein Anfall auf den anderen folgt, bevor das komatöse Stadium vorbei ist. Den Attacken kann eine deutliche ›Warnung‹ oder Aura vorausgehen …
Die Auren haben eine große Variationsbreite, doch im allgemeinen geht immer dieselbe Aura dem Anfall voraus. Dabei treten besondere Sensationen auf, etwa Aufblitzen von Lichtern, Farbwahrnehmungen, starke Gerüche, seltsame Geschmacksempfindungen, Klänge und Geräusche oder Visionen verschiedener Art.«
114
Zitieren wir die Apostelgeschichte:
»Und als er auf dem Wege war und nahe an Damas-
kus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sprach: Herr, wer bist du?
Der Herr sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Stehe auf und gehe in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.« Ein späterer Bericht, den Paulus vor dem Kö-
nig Agrippa abgegeben haben soll, lautet: »Und als ich nach Damaskus reiste mit Vollmacht und Befehl von den Hohenpriestern, sah ich mitten am Tage, o König, auf dem Wege ein Licht vom Himmel, heller als der Sonne Glanz, das mich und die mit mir reisten umleuchtete. Als wir aber alle zur Erde niederfielen, hörte ich eine Stimme reden zu mir, die sprach auf hebräisch: Saul, Saul, was verfolgst du mich?
Es wird dir schwer sein, wider den Stachel zu locken.«
Er fragte, wer zu ihm redete. Es kam die Antwort, Jesus sei’s, er habe ihn zu seinem Diener berufen. Nach dem ersten Bericht sahen Paulus’ Begleiter nichts, hörten aber eine Stimme. Wessen Stimme? Fast mit Sicherheit die des Paulus. Gewitter oder nicht, unnatürliches Ereignis oder nicht, jedenfalls ist der Anblick eines epileptischen Anfalls äu-
ßerst erschreckend – zumal wenn es zum Status epilepticus kommt, der sich über mehrere Stunden hinzieht und bei dem die Anfälle »so rasch aufeinanderfolgen, daß es den Anschein hat, der Patient befände sich immer noch im ersten«.
»Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen auftat, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei 115
der Hand und führten ihn nach Damaskus; und er war drei Tage nicht sehend und aß nicht und trank nicht.«
*
12
W
Damaskus, hieß es, sei die älteste Stadt der Welt. Ihre Ursprünge verlieren sich im dunkeln. Man kann aber
mit einigem Grund annehmen, daß Damaskus die älte-
ste unter den Städten ist, die heute noch von Menschen be-wohnt werden. Damaskus lag mehr als achtzig Kilometer weit vom Meer entfernt, etwa auf halber Strecke
Weitere Kostenlose Bücher