Die Reisen Des Paulus
Paulus vielleicht, daß Petrus von sich behauptete, er sei der allererste Heidenmissionar, denn bei dem Gespräch mit Jakobus vor der Abreise nach Zypern war ja vereinbart worden, Paulus solle die Heiden bekehren und Petrus die Juden. Sei dem wie auch immer – Petrus’ kurze, aber eindrucksvolle Rede wirkte. Stundenlang und vermutlich nicht nur auf einer Gemeindeversammlung beschrieben Paulus und Barnabas ihre 214
missionarische Arbeit. Und am Schluß erhob sich niemand zur Gegenrede. Nur Jakobus – klarer Beweis seiner überragenden Stellung in der Kirche – stand auf und bestimmte nun, wie man sich den Nichtjuden gegenüber verhalten sollte. Er zitierte Arnos: »Danach will ich mich wieder zu ihnen wenden und will wieder bauen die Hütte Davids, die zerfal-len ist, und ihre Trümmer will ich wieder bauen und will sie aufrichten, auf daß, was übrig ist von Menschen, nach dem Herrn frage, dazu alle Heiden, über welche mein Name genannt ist, spricht der Herr, der solches kundtut von alters her.« Man konnte weder dem Propheten noch Jakobus widersprechen, der, wie wir wissen, nicht nur der Bruder Jesu war und ihn nach der Auferstehung gesehen hatte, sondern auch ein derart gottgefälliges Leben führte, daß man ihn überall »den Gerechten« nannte. Die Nichtjuden, die in die Kirche aufgenommen wurden, mußten nur einige wenige Gebote des mosaischen Gesetzes befolgen – und die Beschneidung gehörte nicht dazu. Was Eßgewohnheiten und Sexualverhalten betraf, so hatten sie sich ans Gesetz zu halten. Sie durften nicht vom Fleisch essen, das heidnischen Göttern zum Opfer dargebracht wurde. (Eine nie versiegen-de Geldquelle war für die Tempel der Verkauf geschlachteter Tiere, von denen nur ausgewählte Teile vor den lächelnden Gesichtern im Dunkeln verbrannt wurden.) Sie durften kein Blut trinken, denn Blut war nach dem mosaischen Gesetz das Leben selbst. Sie durften keine erwürgten Tiere essen. Das mag seltsam klingen, beruhte aber auf einer durchaus humanen Haltung. Man wollte die Tiere nicht unnötig quälen, indem man sie auf diese Weise umbrachte – Genie-
ßer behaupteten übrigens, das Fleisch gewinne dadurch an 215
Wohlgeschmack. Das letzte Gebot, sich der Unmoral – in biblischer Sprache, der Unzucht – zu enthalten, war deutlich genug. Es hieß, daß sie sich fernhalten sollten von Orten wie dem Hain der Daphne, den Höhen von Paphos, den Hainen der Astaroth, die jahrhundertelang eine Versuchung für die Kinder Israels dargestellt hatten. Weg vom Weihrauch im Laub der Bäume, weg von der Hurerei mit Frauen und Männern, und kein Geld mehr zur Unterstützung der Kulte, Götzenbilder, Tempel und Priester!
Jakobus’ Entscheidung wurde von der Versammlung be-
stätigt. Man setzte einen Brief an die antiochenische Kirche sowie an die syrischen und cilicischen Gemeinden auf, der alle von dieser Grundsatzentscheidung unterrichten sollte.
Es war ein glänzender Sieg für Paulus. Doch darf man nicht vergessen, welch bedeutende Rolle Petrus und Jakobus bei dieser Auseinandersetzung spielten. Ohne sie hätte wohl die Partei der Pharisäer gesiegt. Nachdem Paulus und Barnabas die nötigen Anweisungen und Sanktionen vom Oberhaupt der Kirche und vom Ältestenrat zu Jerusalem entgegenge-nommen hatten, zogen sie wieder nach Antiochien und
übergaben den Brief. Mit ihnen kamen zwei Emissäre aus Jerusalem, die vielleicht dafür sorgen sollten, daß die Anweisungen recht verstanden wurden. Außerdem hatten sie wohl einen Bericht vorzubereiten, der genaue Auskunft darüber erteilte, wie die Dinge in Antiochien und den Nachbarge-meinden standen. Diese beiden Männer waren Judas Barsabas und Silas Silvanus, letzterer römischer Bürger wie Paulus. Eine kluge Wahl – Judas war Jude (vielleicht der Bruder jenes Joseph Barsabas, der sich erfolglos darum beworben hatte, den verwaisten Platz des Judas Ischarioth einzuneh-216
men), Silas war römischer Bürger und konnte somit nicht nur mit den lokalen Obrigkeiten verhandeln, sondern sich auch der speziellen Probleme der griechischen und römischen Konvertiten annehmen. Die Botschaft wurde verlesen. Alle waren erleichtert: sie brauchten sich nicht mit den haarspalterischen Sophistereien des jüdischen Gesetzes zu belasten. Sie waren frei. So empfanden sie es vielleicht. In Wirklichkeit trugen sie eine weit größere Bürde als diejenigen, die sich unter den dunkelgrünen Lorbeerbäumen im Hain vor der Stadt umarmten.
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