Die Reisen Des Paulus
Barnabas kehrten nun übers sommerliche Meer zurück, um denen, die sie entsandt hatten, über ihre Arbeit, ihre Mißerfolge und ihre Erfolge zu berichten. Doch der Erfolg war größer als erwartet – ein Anfang, der Gutes verhieß.
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Abgezehrt, von Entbehrungen gezeichnet, betraten an
einem Sommertag des Jahres 48 zwei Juden in zer-
schlissenen Reisegewändern Antiochien, die Schöne, Antiochien, die »Krone des Ostens«. Die Stadt hatte damals fast eine halbe Million Einwohner – eine ungeheure Zahl für die Antike. Unter so vielen Menschen aus so vielen Völkern und Religionsgemeinschaften wird kaum jemand einen Blick auf diese schäbigen Wanderer geworfen haben, und wer sie trotzdem sah, dachte vielleicht, dies müßten Kaufleute sein, denen irgendein Unternehmen gründlich miß-
glückt war – vielleicht hatten sie Schiffbruch erlitten. Der Kleinere, ein Glatzkopf, wußte anscheinend eine Menge zu sagen, und seinem Äußeren nach zu schließen, mußte er harte Zeiten hinter sich haben.
Nachdem Paulus und Barnabas sich in einem christ-
lichen Haus gewaschen und umgezogen hatten, gingen sie gleich zu einer Gemeindeversammlung. In Windeseile hatte sich die Nachricht von ihrer Rückkehr herumgesprochen.
Fast unglaublich nach der langen Zeit – viele dürften gedacht haben, sie seien nach der Abreise von Zypern irgendwo im wilden Hochland von Kleinasien zugrunde gegangen.
Und jetzt hörten sie die herrliche Nachricht, die wahrlich von Gottes Segen zeugte: Segen für ihr Vorhaben, die beiden Botschafter des Glaubens zu den Heiden und Juden zu schicken, die den auferstandenen Messias noch nicht kannten. Tröstlich auch, daß sie sich jetzt nicht mehr so allein zu fühlen brauchten wie früher. Hunderte von Meilen ent-207
fernt, in Städten von Zypern bis Pamphylien, ja selbst im entlegenen Lykaonien lebten Männer und Frauen, die dasselbe glaubten wie sie! Die Bewegung verbreitete sich immer mehr! Vor allem aber dürfte ihnen die verblüffende Nachricht Mut gemacht haben, daß Sergius Paulus, der Prokonsul von Zypern, Christ geworden war. Wenn ein derart bedeutender Mann, ein Römer obendrein, ihrem Kreis beitrat, dann schien nichts mehr unmöglich.
Alles war nun erzählt – und die Geschichten mach-
ten später in der ganzen Stadt die Runde und warben weitere Neubekehrte. Paulus und Barnabas »blieben aber allda eine nicht geringe Zeit bei den Jüngern«. Wieder wird nicht erwähnt, womit sie ihren Lebensunterhalt bestritten.
Entweder versah die Gemeinde sie für ihre Dienste mit Essen und Kleidung, oder sie nahmen, der Tradition der jüdischen Rabbiner folgend, ihren alten Beruf wieder auf. Was Barnabas gelernt hat, wissen wir nicht. Er war Levit und stammte aus Zypern. Vielleicht hatte er dort etwas Landbe-sitz oder war Kaufmann beziehungsweise Handwerker wie so viele jüdische Zyprioten. Dem Verfasser der Apostelgeschichte sind solche Fragen unwichtig. Ihm ist es nur darum zu tun, welchen Beitrag diese Männer zum Aufbau der Kirche leisteten. Es kann nicht lange gedauert haben, bis die Nachricht, was in Antiochien geschah und erreicht worden war, nach Jerusalem zur Mutterkirche drang. Man war zwar vor der Abreise von Paulus, Barnabas und Johannes Markus übereingekommen, daß sie Nichtjuden bekehren durften, aber anscheinend hatte so mancher in Jerusalem noch nicht recht begriffen, was das bedeutete: man nahm Männer und Frauen in die Kirche auf, die nicht im Gesetz unter-208
wiesen waren – die Männer hatten sich nicht einmal jenem schlichten Stammesritual, der Beschneidung, unterzogen.
Die orthodoxen Juden waren im allgemeinen ohnehin gegen Paulus und Barnabas eingestellt – das hatten sie auf ihrer Reise am eigenen Leibe erfahren – und wollten die Christen überhaupt nicht gelten lassen, aber es gab auch Juden, die sich für diesen Nebensproß ihres angestammten Glaubens entschieden hatten. Doch duldeten sie keinesfalls, daß auch Nichtjuden, die sich nicht einmal dem Gesetz unterworfen hatten, aufgenommen wurden. Man muß sich wirklich fragen, ob Johannes Markus’ überstürzte Abreise vielleicht erfolgte, weil Paulus und Barnabas bereit waren, Römer, Griechen und Kleinasier zu akzeptieren, die nicht die mindeste Gesetzeskenntnis besaßen. Für viele jüdische Mitglieder der Urkirche stellte das Christentum wohl nur eine gereinigte Form des Judentums dar. Veränderungen nahm es lediglich insofern vor, als
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