Die Rekonstruktion des Menschen
bei meinem Namen. Ich heiße Philipp…«
Der Förster schwieg.
Betley ging mit unsicheren Schritten zum Fenster. Die Stimmen waren ganz nahe, hinter der Bretterwand. Tiergeruch schlug herein – nach Blut, Kot und noch etwas anderem.
Der Otark, der Philipp hieß, sagte unmittelbar unter dem Fenster: »Du bist der Journalist, nicht wahr? Als was bist du hier?«
Betley hustete. Seine Kehle war ausgetrocknet.
Dieselbe Stimme fragte weiter: »Warum bist du hierhergekommen?«
Es wurde still.
»Bist du hergekommen, um uns zu vernichten?«
Wieder trat einen Augenblick Stille ein, dann redeten die Stimmen erregt durcheinander: »Natürlich, sie wollen uns ausrotten… Erst aber haben sie uns gemacht, und jetzt wollen sie uns vernichten…«
Ein Brüllen erhob sich, dann Lärm. Betley hatte den Eindruck, als prügelten die Otarks aufeinander ein.
Dann übertönte die Stimme dessen, der sich Philipp nannte, alle anderen: »He, Förster, warum schießt du nicht? Du schießt doch sonst immer? Red mit mir.«
Irgendwo von oben krachte plötzlich ein Schuß.
Betley drehte sich um.
Der Förster war auf den Herd geklettert, hatte die mit Stroh gedeckten Dachsparren auseinandergeschoben und geschossen.
Er schoß noch einmal, lud sofort nach und gab erneut einen Schuß ab.
Die Otarks liefen auseinander.
Miller sprang vom Herd.
»Jetzt müssen wir uns Pferde besorgen. Sonst können wir einpacken.«
Sie besichtigten die drei toten Otarks.
Der eine, noch jung, war wirklich fast unbehaart, nur im Nakken wuchs ihm Fell.
Betley hätte sich beinah übergeben, als Miller die Otarks im Gras umdrehte. Er riß sich zusammen, hielt sich die Hand vor den Mund.
»Merken Sie sich, es sind keine Menschen«, sagte der Förster. »Obwohl sie sprechen können. Sie fressen Menschen. Und sich selber auch.«
Betley sah sich um. Es war taghell. Die Lichtung, der Wald, die getöteten Otarks – alles kam ihm für einen Moment unreal vor. Ist das möglich? Stehe ich, Donald Betley, wirklich hier? fragte er sich.
»Hier an der Stelle wurde Klein von einem Otark aufgefressen«, sagte Miller. »Einer von uns, ein Hiesiger, hat es erzählt. Er war im Versuchszentrum als Raumpfleger angestellt. An jenem Abend hielt er sich zufällig im Zimmer nebenan auf und hörte alles mit an…«
Der Journalist und der Förster waren auf der Insel und befanden sich im Haupttrakt des Wissenschaftlichen Forschungszentrums. Sie hatten am Morgen von den niedergemetzelten Pferden die Sättel abgeschnallt und die Insel über den Damm erreicht. Nur ein Gewehr war ihnen noch geblieben, Betleys Doppelflinte hatten die flüchtenden Otarks mitgenommen. Nach Millers Plan mußten sie, solange es noch hell war, zur nächsten Farm gelangen und sich dort Pferde besorgen. Aber der Journalist hatte sich bei ihm für die Besichtigung des verlassenen Versuchszentrums eine halbe Stunde Zeit ausbedungen.
»Er hörte alles mit«, wiederholte der Förster. »Es war abends, gegen zehn. Klein überprüfte eine Apparatur und hantierte mit elektrischen Leitungen, wobei er sich mit dem Otark unterhielt, der auf dem Fußboden saß. Sie erörterten ein physikalisches Problem. Der Otark war einer von den ersten, die liier gezüchtet worden waren, und galt als der Klügste. Er konnte sogar in fremden Sprachen sprechen… Unser Bursche nun wischte im Nebenzimmer den Fußboden und war Zeuge ihres Gesprächs. Nach einer Weile trat Schweigen ein, etwas polterte zu Boden. Und plötzlich hörte der Bursche einen Aufschrei Kleins. In diesem Aufschrei lag so viel Entsetzen, daß dem Burschen vor Angst die Beine weich wurden. Dann ertönte der markerschütternde Schrei: ›Hilfe!‹ Der Bursche warf einen Blick ins Zimmer und sah, wie Klein, sich windend, am Boden lag und der Otark an ihm nagte. Vor Grauen stand der Bursche wie versteinert. Erst als der Otark sich auch an ihn heranmachen wollte, schlug er die Tür zu.«
»Und weiter?«
»Die Otarks töteten noch zwei Laboranten und flüchteten. Fünf oder sechs blieben jedoch, als wäre nichts geschehen. Als die Kommission aus der Hauptstadt eintraf, unterhielten sie sich mit ihr. Sie wurden dann weggebracht. Später stellte sich heraus, daß sie im Zug noch einen Menschen gefressen hatten…«
In dem großen Labor war alles unberührt geblieben. Auf den langen Tischen standen staubbedeckte Reagenzgläser, die Leitungen der Röntgenapparaturen waren von Spinnweben überzogen. Lediglich die Fensterscheiben waren zerschlagen, und durch die Öffnungen krochen die
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