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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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als Nawa, obwohl auch sie keine Fremde sei, keine Kinder vom Schweiger hätte; das aber dürfe nicht geduldet werden wie hier vom Dorfältesten…
Von der Hitze entkräftet, war der Dorfälteste inzwischen gleichfalls eingenickt, er zuckte aber zusammen, als er seinen Namen hörte, und krächzte sofort drohend: »He, ihr! Nicht schlafen! Schlafen könnt ihr zu Hause, dafür sind die Häuser schließlich da, auf dem Anger aber hat niemand zu schlafen, der Anger ist für die Versammlung da, auf dem Anger zu schlafen ist niemandem erlaubt, weder heute noch später.« Er schielte zu dem Alten hinüber, und der Alte nickte zufrieden. »Das genau verstehen wir unter ›nicht dürfen‹.« Er strich sich die Haare glatt und verkündete: »Im Weiler ist eine Braut rangewachsen, und wir haben auch einen Bräutigam, den euch allen bekannten Schwätzer. Steh auf, Schwätzer, und zeig dich… Oder besser nein, bleib lieber sitzen, wir kennen dich alle… Nun also die Frage: Sollen wir den Schwätzer in den Weiler ziehen lassen, oder sollen wir umgekehrt die Braut zu uns ins Dorf holen… Nicht doch, Schwätzer, du sitz still, wir entscheiden die Frage ohne dich… Ihr andern neben ihm, haltet ihn gut fest, solange die Versammlung dauert. Wer aber eine andere Meinung zu dieser Angelegenheit hat, soll sie sagen.«
Es gab zwei Meinungen. Die einen (hauptsächlich die Nachbarn des Schwätzers) forderten, den Schwätzer in den Weiler abzuschieben, soll er ruhig dort leben, sagten sie, ein Stück weg von uns. Die andern, ruhige und ernsthafte Leute, die weiter entfernt vom Schwätzer wohnten, meinten, daß man die Braut ins Dorf nehmen müsse, denn es gebe, seit sie geraubt würden, ohnehin zuwenig Frauen. Der Schwätzer, argumentierten sie, sei zwar ein Schwätzer, werde aber gewiß dennoch Kinder in die Welt setzen, das eine hänge mit dem andern ja nicht zusammen. Man stritt lange, heiß und in der ersten Zeit auch zur Sache. Dann machte jedoch Hinkebein den wenig glücklichen Einwurf, daß jetzt schließlich Kriegszeiten seien, was alle Leute vergessen würden. Sofort ließ man vom Schwätzer ab. Der Horcher erklärte, daß es überhaupt keinen Krieg gebe und nie einen gegeben habe; was es gebe und weiterhin geben werde, das sei die Große Bodenauflockerung. Keine Auflockerung, widersprach die Menge, sondern die Unumgängliche Versumpfung. Die Auflockerung sei längst beendet, es gebe ja schon viele Jahre die Versumpfung, nur er, der Horcher, habe keine Ahnung davon, und woher auch, er sei eben ein Horcher. Der Alte erhob sich, rollte mit den Augen und rief heiser aus, daß man so etwas nicht sagen dürfe. Es gebe nämlich weder Krieg noch Auflockerung noch gar Versumpfung, was dagegen existiere und existieren werde, das sei der Allumfassende Kampf im Süden und Norden. Was beim stinkigen Pelz, entgegnete ihm Faust, heiße hier, es gebe keinen Krieg, wenn hinterm Dorf der Sonderlinge ein ganzer See voller Ertrunkener sei? Die Versammlung war am Explodieren. Ach was, Ertrunkene! Wo Wasser sei, gebe es auch Ertrunkene, bei den Sonderlingen sei alles anders als bei normalen Leuten, sie würden von Ton essen und unter Lehm leben. Erst die Frau den Räubern überlassen und sich dann auf die Ertrunkenen berufen! Und überhaupt seien das gar keine Ertrunkenen, so wie es keinen Kampf gebe und keinen Krieg, sondern nur Frieden und Verschmelzung zum Zweck der Besetzung! Warum wolle der Schweiger denn sonst in die Stadt? Wenn der Schweiger in die Stadt wolle, heiße das doch, es gebe die Stadt, wenn sie aber existiere, was könne es da für einen Krieg geben, da sei doch klar, daß es sich um die Verschmelzung handle! – Ach was, es sei doch egal, wo der Schweiger hin wollte! Da sei schon mal einer gewesen, der habe auch wohin gewollt, doch hätten sie ihm kräftig eins über die Nase gehau’n, und nun wollte er nirgends mehr hin… Der Schweiger wolle in die Stadt, weil es sie gar nicht gebe, man kenn doch den Schweiger, das sei ein ausgemachter Dummkopf, aber er wäre auch wieder schlau, er ließe sich nicht übers Ohr hau’n, denn wenn’s keine Stadt gebe, wer könne da von Verschmelzung reden? Es gebe gar keine Verschmelzung, eine Zeitlang, ja, da habe sie’s gegeben, aber jetzt schon lange nicht mehr… Folglich gebe es auch keine Besetzung! Wer brülle da, es gebe keine Besetzung? In welchem Sinne, sei zu fragen. Wie meine er das? – Und plötzlich der Ruf: Der Schwätzer! Haltet den Schwätzer!… Ach, der Schwätzer ist ihnen

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