Die Rekonstruktion des Menschen
chemosynthetische
Werke usw. Sechshundert Milliarden etatmäßige
Polizeipatrouillen kreisen unablässig an allen Grenzen und
durchlässigen Stellen des Staatswesens, ohne Schlaf und Ruhe zu
kennen. Das klingt nicht übel, stimmt’s? Wir wollen jedoch
keineswegs vor euch verbergen, daß nicht alles schön ist im
semenidischen Staat. Unsere größte Eigentümlichkeit und
zugleich Sorge besteht darin, daß jeder Bürger mit einem
Bewußtsein ausgestattet ist, und in diesem kleinen Finger hier
haben wir mehr Verstand, als in mancher Hochschule steckt. Leider kann
dieser ganze Verstand nicht gleichzeitig zu Worte kommen, deshalb
übermitteln euch lediglich die vokalen, in der Mundhöhle
akkreditierten diplomatischen Gruppen unter der Leitung der
parlamentarischen Kommission für Sprachangelegenheiten diesen
Ausdruck herzlicher Verbundenheit und schließen den Bericht
über unsere Geschichte mit brüderlichem Gruß im Namen
der Bürgermassen, die mit ihrer Alltagsarbeit auf Organebene
beschäftigt sind. Wenn ihr fragen würdet, warum der Mut im
Staatsmobil verlorengegangen ist, wie es geschehen konnte, daß
die obersten Organe den Zuliefergesellschaften aufgetragen haben, nach
dem Schierlingsbecher zu greifen, antworte ich ehrlich: aus
äußeren wie auch, aus inneren Gründen, denn die einen
wie die anderen wurden unerträglich. Wißt ihr, was nach
fünfzehntausend Jahren rühmlichen zivilisatorischen Aufbaus
aus uns geworden war? Da wir nur über dieses eine Paar Hände
verfügten (was hatten wir nämlich davon, daß Millionen
Bürger darin untergekommen waren?), wurden wir gezwungen, unter
freiem Himmel umherzustreifen und uns von Wurzeln zu ernähren,
gepeinigt von den triumphierenden Mücken, bis wir ihnen
unrühmlich den Rücken kehrten, um erst wieder in einer
schlüpfrigen Höhle Widerstand zu leisten, vielleicht
derselben, die unser Vorfahr, der Troglodyt, vor Äonen verlassen
hat. Und all das, weil die Projektanten des Staatsmobil als einen so
monumentalen, unendlich vollkommenen Giganten betrachtet und dafür
nur eine Handvoll Werkzeuge und Reithosen vorbereitet hatten, die
übrigens, wie die Anprobe ergab, infolge eines Planfehlers zu eng
waren. Die Projektanten waren nämlich der Meinung, solch ein
Multiriese würde sich ganz leicht allein auf dem Planeten
einrichten. Haben sie uns nicht als Vermächtnis die gesamte
semenidische Wirtschaft übergeben? Gewiß, aber was
nützen uns Städte, in deren Straßen wir nicht einmal
die Ferse stecken können, oder Roboter, die kleiner sind als
Feilspäne. Schließlich bissen wir die Zähne zusammen
und wären mit den äußeren Schwierigkeiten fertig
geworden, wenn nicht die fatale innere Situation des Staates gewesen
wäre. Keiner, aber auch wirklich keiner ist zufrieden mit dem
Posten, auf den man ihn gestellt hat! Nehmen, sich drücken,
nörgeln, Unmögliches verlangen – das ist ihre Devise.
Wie soll das Parlament öffentliche Angelegenheiten entscheiden,
die keinen Aufschub dulden, wenn die Knie eigene Augen fordern, die
unteren Halbstelzen mit Stillegung der Transportmittel drohen, weil es
ihnen angeblich zu kalt und hart ist, und wißt ihr, was ein
Staatskatarrh bedeutet? Wir hätten uns vielleicht den
unverantwortlichen Forderungen widersetzen und die wahnwitzigen
Gelüste zügeln können, wenn die Umstürzler,
versteckt in den Kammern des Parlaments, die Freundisten, die unser
Staatsbewußtsein untergruben, nicht gewesen wären.
Könnt ihr euch vorstellen, was die illegale Opposition bei Tage
und besonders bei Nacht verlangt? Die Besitzergreifung eines
Nachbarstaats vom anderen Geschlecht – das Eindringen in seine
Grenzen ohne jeden Notenwechsel, mit Gewalt! Der Umstand, daß es
diese anderen nicht gibt und nicht geben kann, zähmt die
hartnäckigen Konspiratoren kein bißchen. Als wir sahen,
daß alle Verhandlungen mit ihnen, alle Überredungsversuche
vergeblich waren, wie sie unsere Regierung mit der Vision einer die
Sinne verdüsternden Okkupation korrumpierten, wie sie danach
drängten, daß unser Staatsmobil wenigstens mit
imaginärer Zügellosigkeit auf zwei Beinen stände, wenn
das schon mit wirklicher nicht möglich ist, erkannten wir in
diesen Stimmen den Geist des verfluchten Herrschers der Gelüste,
des Marquis, der seit Jahrhunderten unsere Fundamente unterwühlt,
und weil jener Tyrann uns trotz all unserer Bemühungen und der
eigenen Atyrannei beherrschen wollte und schon jetzt zur Macht strebte,
beschlossen wir, mit ihm und mit uns Schluß zu
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