Die Rekonstruktion des Menschen
Zustand. Bin ich also ein Toter? Ich befinde mich mitten unter lebendigen Menschen, bewege mich, fühle, nehme meine Umwelt wahr, kann etwas tun und kann diese Umwelt nach meinem Geschmack umwandeln! Wer bin ich also? Schweigen Sie! Sie wissen es ebenfalls nicht! Sie haben die Unsterblichkeit geschaffen, kennen sich aber nicht im entferntesten vorstellen, was das ist! Wissen Sie, Valmosk, woran ich mich erinnere? Sie glauben vielleicht, an mein früheres Leben, an die Expeditionen unter Wasser und ins Innere der Erde? Nein, ich denke an den Geschmack des Käses, den ich bei Ihnen gegessen habe, bevor ich unsterblich wurde! Das war der letzte und deutlichste Eindruck, den ich aus meinem sterblichen Leben mit herübergenommen habe, und er bleibt mir, er wird mich Millionen von Jahren verfolgen! In dieser Minute würde ich meine Unsterblichkeit bedenkenlos gegen die Möglichkeit eintauschen, ein Stückchen Käse zu essen! Schweigen Sie! Ihr Generator ist unvollkommen! Indem er die Unsterblichkeit verleiht, müßte er gleichzeitig die Erinnerung an die Vergangenheit auslöschen, das heißt, er müßte dem Menschen sein menschliches Wesen nehmen. Doch jetzt hat das alles nichts mehr zu sagen. Für mich, Valmosk, begehre ich nichts, für Sie aber könnte ich noch einiges tun. Mich verwundert und belustigt Ihre Gier nach dem gewöhnlichen Leben, von dem Ihnen nicht mehr als vielleicht noch zehn, fünfzehn Jahre verbleiben! Sie trachten nach Reichtum und Macht! Wollen Sie, daß ich Erm Grunsoll den Fünften um seine idiotischen Milliarden bringe und sie Ihnen gebe?«
Valmosk dachte bei sich: Mag er tun, was er will, wenn er sich nur nicht der Langeweile überläßt. Diese Langeweile könnte von einem Anfall von Raserei abgelöst werden, und dann ist er imstande, etwas anzustellen, was ihn selbst nicht mehr froh werden läßt. Die Menschheit wird schließlich nicht viel verlieren, wenn das Haus Grunsoll aufhört zu existieren.
Laut sagte er: »Ausgezeichnet, Doriel! Erm Grunsoll hat sich auf dem gestrigen Bankett eine recht unverschämte Bemerkung gegen mich herausgenommen. Er verdient einen kleinen Denkzettel. Geben Sie ihm den!«
14
Eine hohe gesellschaftliche Stellung hat viele unangenehme Verpflichtungen im Gefolge. Valmosk drehte sich wie ein Eichhörnchen im Tretrad: Visiten, Empfänge, Begegnungen, geschäftliche Gespräche. Während all dieser Hasterei vergaß er eine Zeitlang ganz die neue Aufgabe, die Redshan übernommen hatte. Erst einen Monat später fiel sie ihm wieder ein. Er erschrak über seine Sorglosigkeit und rief sofort seinen Verwalter an: »Wie stehen die Aktien des Hauses Grunsoll? Was hört man darüber?«
»Was soll man denn hören, Euer Gnaden?« fragte der Verwalter interessiert zurück.
»Ach, nichts Bestimmtes, ich frage nur so…«
»Dann kann ich Ihnen auch nichts weiter sagen. Das Haus Grunsoll ist so stabil wie noch nie!«
Valmosk legte den Hörer auf und eilte durch die Korridore und Treppen hinab in den Keller.
Als er das »Asyl der Unsterblichen« betrat (so nannte er jetzt seine ehemalige Wohnstätte), sah er Redshan auf dem Diwan sitzen. Der Unsterbliche starrte vor sich hin und dachte anscheinend über etwas nach. Auf seinen Knien hatte sich diesmal der Kater Flipp niedergelassen, Rongi lag zu seinen Füßen.
Beim Anblick Valmosks rührte sich die Gruppe der Unsterblichen nicht einmal. Der Professor schüttelte Redshan kräftig ein paarmal hin und her, mußte aber infolge des aufgewirbelten Staubes sogleich heftig niesen.
Redshan kam langsam zur Besinnung und sah Valmosk fragend an.
»Warum sind Sie noch nicht fort, um Ihr Versprechen einzulösen, Redshan?« brüllte der Alte, wobei er die Lippen unheimlich bewegte.
Redshan zuckte teilnahmslos die Achseln.
»Na, antworten Sie doch endlich. Hol Sie der Teufel! Wo haben Sie Ihren Notizblock und den Füllfederhalter?«
Er zog Redshan die Schreibutensilien aus der Tasche und drückte sie ihm in die Hand. Der nahm sie und schrieb: »Sind Sie böse, Professor?«
»Da fragen Sie noch? Warum haben Sie das Urteil immer noch nicht vollstreckt, das Sie selber über Erm Grunsoll den Fünften verhängt haben? In was für eine Lage bringen Sie mich in der Öffentlichkeit? Ich habe das Ende des Hauses Grunsoll vorausgesagt! Vor einem Monat schon! Wollen Sie, daß ich als Lügner und Großsprecher dastehe? Was haben Sie hier den ganzen Monat getan?«
»Ich wußte nicht, daß schon ein ganzer Monat vergangen ist«, schrieb Redshan in aller Ruhe.
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