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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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ihrer glänzenden Oberfläche vervielfachten sie das verzerrte Spiegelbild seines Gesichts.
»Schließlich bin ich doch nur hierhergekommen, um die zu finden, die hier zurückgeblieben sind. Ich habe fest daran geglaubt, daß ich sie finden würde.«
»Wen?«
»Euch.«
Unter halbgeschlossenen Lidern beobachtete er die Häuserkanten über seinem Kopf. Sie hoben sich vom Himmel in einer fehlerlosen, reinen Linie ab.
»Du irrst dich, Rudier. Wir sind nicht die, die du suchst.«
Verwundert blickte er die Straße entlang. Einen Moment zögerte er, dann streckte er die Hand aus und wies auf die strahlenförmig auseinanderlaufenden Sackgassen.
»Ich suche die, die diese Stadt gebaut haben«, sagte er.
»Damals waren wir nicht hier.«
»Wer seid ihr sonst, warum versteckt ihr euch vor mir?«
»Etwas Geduld, Rudier. Bald wirst du uns sehen.«
»Geduld… einfach gesagt, nach so vielen Jahren des Wartens…«
Er brach ab, fühlte, daß seine um den Kolben des Blasters gekrampfte Hand feucht wurde. Irgendwo tief in seiner Brust regte sich eine plötzliche Furcht vor dem Unsichtbaren und gleichzeitig die Angst, daß die Stimme nur eine Einbildung gewesen sein könnte und er im Halbdunkel der ausgestorbenen Stadt wieder allein sein würde.
»Woher…«, sagte er und runzelte die Augenbrauen, »woher kennt ihr meinen Namen?«
»Wir wissen alles über dich.«
»Und wer seid ihr?«
Er wich zurück, bis er die kühlen Mauern in seinem Rücken fühlte.
»Ich heiße Nezer.«
»Orst.«
»Paldan.«
»Ihr seid drei?«
Dort, irgendwo, wurde mit einer Antwort gezögert. »In gewissem Sinne.«
»Warum kann ich euch nicht sehen?«
»Weil zwei Flugstunden zwischen uns liegen.«
Rudier schwankte, ais wäre er mit der Faust voll in den Magen getroffen worden.
»Ihr seid im All?«
Er stieß sich von der Mauer ab und trat in die Mitte der Straße, mit nach oben gerichtetem Kopf und weit ausgebreiteten Armen.
»Hier… hört ihr? Ich bin hier!«
Die Straßen nahmen den die Stille durchbrechenden Schrei auf, mit ersterbendem Echo trugen sie ihn bis hoch unter den Himmel, der wie eine scharlachrote Wunde die Mauerreihen teilte.
»Ich bin hier! Hört ihr? Holt mich von hier fort!«
Er entsicherte den Blaster und richtete ihn mit zitternden Händen auf den Spalt zwischen den Mauern. Eine Serie von Lichtimpulsen brachte genau über ihm, im Zenit, eine violette Blase hervor, aus der von innen heraus ein totenbleiches Feuer leuchtete. Der Widerschein bohrte sich in seine Augenlider, und ein heißer Hauch legte sich ihm auf Gesicht und Hände, aber er versuchte noch immer, die Blitze zu einem Signal eines längst in Vergessenheit geratenen Codes zu reihen. In einer Kaskade von Funken fielen brennende Brocken auf den Boden, der Strahlenblitz hatte sie aus den Mauerrändern geschnitten. Rudier war geblendet, und rote Kreise wirbelten ihm vor den Augen. Er versuchte, den hitzeabstrahlenden Mauern zu entrinnen, aber vergeblich – die Füße waren wie am Erdboden festgewachsen. Ratlos gab er seine Bemühungen auf, dämpfte seinen fliegenden Atem und wartete, bis der Purpur des pulsierenden Blutes unter seinen Lidern abgeklungen war. Schließlich wagte er, die Augen wieder zu öffnen, unsicher und voller Angst.
Die schwarzen Steine waren verschwunden. Statt dessen umrankten blaßrosa Kletterpflanzen die Mauern, blitzschnell hatten ihre Wurzeln im Bürgersteig Fuß gefaßt. Die unheimliche Expansion der wogenden Pflanzen aus dem toten Gestein schien die ganze Umgebung erfaßt zu haben, aber ein Blick zurück genügte, und Rudier verstand, daß diese Befreiung eines versteckten Lebenspotentials von einer unsichtbaren Kraft auf einen geringen Teil der Stadt beschränkt wurde. Hinter dieser Grenze befand sich noch immer die dämmrige, wie aus einem Riesenbrocken Steinkohle gehauene Schlucht.
Rudier senkte den erhitzten Lauf des Blasters. Er fand sich im Zentrum eines Kreises, den die von seiner Waffe ausgestrahlte Hitze gezogen hatte. Groß, linkisch stand er da in dem an seinem ausgemergelten Körper herabhängenden Raumanzug.
Langsam und unwillig begann er die ihm schon bis zur Brust reichenden Stengel auseinanderzubiegen. Sie waren weich, fühlten sich warm an und gaben dem Druck seiner Hand sofort nach. Größeren Widerstand leisteten sie erst kurz über dem Boden, dort, wo seine Füße in einem Dickicht von Schlingpflanzen gefangen waren. Auf der von den Strahlen des Blasters durchpflügten Wand erstarrten schwere, trotz der großen Hitze schon schwarz

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